Reformschule, Notabitur und das endlose Gegeneinander

Reformschule Max-Brauer-Schule in Hamburg

Meine Tochter kommt nun in die 5. Klasse auf eine Reformschule. Mancher hat das ja hier verfolgt, dass wir damals uns für die Aufnahme auf einer Walddorfschule beworden hatten und abgelehnt wurden, was ja auch gut ist war. Einige Jahre zuvor hatten die Hamburger Eltern sich in einer Volksabstimmung gegen eine umfassende Schulreform. Da wurde ein echter Fortschritt aus Angst verhindert. Denn so war das längere gemeinsame Lernen – wie in vielen Ländern normal und üblich, dass die Kinder bis mindestens zur 7. Klasse zusammenbleiben – und „Eine Schule für alle“ vom Tisch. Ein konservativer Aufschrei hatte verhindert, dass Wissenschaft, Humanität und eine moderne Schule den Kindern und damit dem Ganzen dient.

Es herrschte und herrscht bei uns immer noch die nackte Bildungspanik. Zumindest in den Großstädten. Jedes Frühjahr geht es um das Abitur – in diesem Jahr um eine zu schwere Matheprüfung – und um den Krampf mit der weiterführenden Schule. Zumindest in den Großstädten, denn hier scheinen sie alle wahnsinnig. Die Eltern meine ich.

Für beinahe jedes und alles musst du heute studieren. Ich werde demnächst einen Vorschlag machen, Kindergeburtstag endlich an der Uni studieren zu können. Wie Julian Nida-Rümelin in seiner brillanten Schrift Der Akademisierungswahn – Zur Krise beruflicher und akademischer Bildung nachweist, sind viele Studiengänge gar nicht nötig, um eine hohe berufliche Qualität zu erreichen. Das sehr gute duale Ausbildungssystem garantiert eine kompetente und fachgerechte Ausbildung. Aber ach. Viele soziale Berufe müssen studiert werden, die Studiengänge werden immer mehr und immer komplizierter und am Ende? Am Ende gehörst du zur Elite – das war ja das Ziel – hast dir vermeintliche Sicherheit erschuftet und … verdienst häufig immer noch nicht mehr, als gute Facharbeiter.

Nida-Rümelin zeigt auf, dass diese Seuche, der Akademisierungswahn nicht nur von der Politik (insbesondere der Sozialdemokraten) ausgeht, sondern Hauptsächlich die Großstädte betrifft. Auf dem Land, insbesondere in Bayern, haben die Menschen ganz andere Sorgen und machen erst einmal eine richtige Ausbildung. Damit darfst du vielen Hamburger Eltern nicht kommen, die, wie ich als Elternrat und im Vorstand eines Kreiselternrats erfahren habe, eine Art Krieg gegen die Schulbehörden führen, weil sie fürchten, ihren Kindern werde zu viel zugemutet oder die Qualität der Betreuung seit in Gefahr und damit die Zukunft der Familie. Man hat den Eindruck, das Abitur sei eine Art Notwehr, ein modernes Notabitur, denn ohne es kann man kein gutes Leben führen. Eine Reformschule könnte das Gegeneinander, das Alle-gegen-alle beenden helfen, aber würde den Lebensweg der Kinder u. U. negativ beeinflussen.

Es geht immer nur um Leistung, egal, wie sehr sich Eltern selber täuschen oder wie man die Sache übertüncht. Das Ergebnis dieser Mühle sehen wir in der Gesellschaft, zuletzt bei den Europawahlen. Da findest du keine Liebe, keine soziale Gerechtigkeit, keine tief empfundene Menschlichkeit, keine freiheitliche Liberalität, ein einziges Gegeneinander durchmischt mit Angst bis dorthinaus. Und dieses Gegeneinander beginnt in den Schulen und in den Köpfen der Kinder. Ihr Eltern können das schon sehr gut. Sie haben nicht Angst um das Ganze, sondern Angst, dass ihre Kinder keinen Super-Job abbekommen. Und so geht die ganze Scheiße immer weiter und weiter.

Ich kenne so viele Pappnasen, die alle Abitur und ein Studium haben, aber bei vielen Gebieten auf der Strecke bleiben. Sie sind klug, aber ohne Humor, betreuen Mitbürger mit sozialen Problem oder psychotherapieren sie sogar, aber kriegen ihre eigene Beziehungen nicht geregelt, sie versagen als Vorgesetzte, flüchten in Beamtenlaufbahnen wegen der Sicherheit und dem Geld, sie reden den ganzen Tag Bullshit und verarschen ihre Mitbürger mit windigen Versprechungen, miesen Produkten oder führen sie an der Nase herum.

Es ist eigentlich zum Auswandern.

Reformschule? Nicht mit Til Mette
Mit freundlicher Genehmigung von Til Mette. Mehr Cartoons für die moralische Elite mit Bildung, Geld & gutem Geschmack

Reformschule und das individuelle Lernen

Ich möchte hier gar nicht viel über meine Tochter reden. Sie ist kein Gymnasialkind, ihr fehlt der Ehrgeiz, den andere Kinder haben. Weshalb sollte sie fleissig etwas lernen, nur weil anderen das gerade passt. Mir war und ist wichtig, dass sie eine Kindheit hat, eine echte Kindheit. Wichtig sind mit emotionale und soziale Kompetenz, und dass sie viele Freunde hat. Von Schule hängt das Lebensglück nicht ab. Lernen kann man später noch, wenn man weiß, wofür. Wenn es in der Schule nicht so klappt, kann man es nachholen und geht seinen ganz eigenen Weg. Daher erscheint eine Reformschule nur konsequent.

Während die Gesellschaft sich weiter flexibilisiert, neue Berufe und Lebensentwürfe erfindet und entwickelt, die Lebensläufe bunt sind und wesentlich differenzierter, als seinerzeit, hinkt Schule dieser Entwicklung hinterher. Sie bildet diese Vielfalt nicht ab. Die Schulformen sind im Wesentlichen und vor allem was die Abschlüsse angeht, immer noch wie zu den Zeiten als Schule entstand. Und das ist alles noch gar nicht so lange her, rund 100 bis 150 Jahre.

Aus meiner Sicht kann jeder Mensch intuitiv spüren und verstehen, dass die Schule, wie wir sie heute kennen, dem Menschsein, dem Lernen,
der menschlichen „Psyche“ nicht entspricht. Aber das empfindet jeder etwas anders. Was zunächst notwendig erschien, ist heute überlebt und nicht mehr tauglich. Für mich hängt es am eigenen Weltbild und am Wissen. Wer bin ich, was ist der Mensch, worum geht es im Leben?

Wir haben uns für eine Reformschule entschieden – und alle waren sich einig, das diese Schule für meine Tochter die richtige ist – weil es sie gibt hier im Viertel. Wir wohnen nah dran, die Schule hat weit über Hamburg hinaus einen sehr guten Ruf und ist seit über 20 Jahren eine der wenigen Reformschulen dieser Republik.

Der Schulerfolg hängt vielleicht gar nicht so sehr an der Schulform, sondern mehr an den Lehrern, mit denen man Glück oder Pech haben kann, und an der Klassengemeinschaft, für die dasselbe gilt. Dennoch ist eine solche Reformschule eine wichtiger und richtiger Ansatz. Ich komme vielleicht noch darauf, die Sache näher zu erklären, aber an dieser Stelle sollte genügen, dass es um individuelles Lernen geht und um gemeinsames Lernen. Das sehe ich als das Wesentliche.

Ich bin fest davon überzeugt, dass dies die Zukunft ist: Eine Schule für alle und individuelles Lernen. Und unser derzeitiges Schulsystem ist Mist.

Deutschland sollte noch mehr Geld für Bildung ausgeben, mutig sein, mehr auf die Fachleute hören. Die Entscheider und alle Eltern sollten aber den Film oder das Buch alphabet kennen:

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