Beinahe ist ja schon alles gesagt zur aktuellen Seximus-Debatte in Deutschland. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter firmiert diese Debatte unter dem Hashtag (Schlagwort) #Aufschrei und prangert übergriffiges Verhalten von Männern gegenüber Frauen an. Jedes Medium, jede Zeitung, jedes Magazin, jede Talksendung, jede Show und alles was Medium heißt, greift das Thema auf und tritt es breit und breitet. Die Meinungen sind vielfältig: Von engstirnig, ideologisch und einseitig, bis hin zu ruhig, gelassen und entdramatisierend. Ich meine, es ist eine hysterische Debatte, zumindest in der Art, wie sie über Twitter losgetreten wurde. Und ich glaube auch nicht, dass es ein echtes gesellschaftliches Problem ist. Jedenfalls begegne ich keiner Frau, die sich belästigt oder davon betroffen fühlt. Offenbar finden diese Belästigungen wenn, dann im Verborgenen statt, eye to eye. Mir wird sehr selten ein sexistisches Geschehen, eine Erniedrigung berichtet. Wenn, ist oft Alkohol im Spiel. Und wir wissen schon längst, welch verheerende Wirkung das Teufelszeugs auf das zentrale Nervensystem ausübt. Ich will sexuelle Übergriffe – auch verbale – nicht verharmlosen, aber ich sehe ganz andere, drängendere Probleme, die unserer Aufmerksamkeit bedürfen..
Ich sehe Armut, Krankheit, Arroganz, Online- und Spielsucht, Alkoholexzesse; ich sehe Gewalt in den Medien, ich sehe Vereinzelung, Kommunikationsstörungen, Entfremdung, Überforderung; Depressionen, Narzissmus, Magersucht, Alkoholismus, Rücksichtlosigkeit, Dominanz, Machtmissbrauch, Reglementierung, Zwang, Lüge, Ausbeutung und die Massen, deren einzelene Teile glauben, etwas Besonderes, ganz besonders individuell zu sein; ich sehe Blechlawinen, Lärm, Dreck, Verkehrsinfarkte, Angst, Arbeistlosigkeit, Scheidung, Verzweiflung, religiöse Verblendung … Twitter …
Aber nein, Sexismus ist angeblich das große gesellschaftliche Thema. Auf einmal. Dabei wäre das nun wirklich nichts Neues. In Frankreich halten die uns wegen des unsäglichen Boheis zu dem Thema, für spießig und bedauernswert, in Skandinavien zurückgeblieben.
Es ist sicher ein Thema hier und dort, bei großen Abhängigkeiten, in intimen, unbeobachteten Situationen, in bestimmten Berufen, in Hotels, Parlamenten, Redaktionen, Bühnen und vollen Bussen. Es ist manchmal sehr schwierig, wenn es keine anderen Zeugen gibt. Deshalb ist es wichtig, sich zu wehren, sich wehren zu können. Aber selbst das lehnen manche junge und mach verbitterte oder unfähige Frauen ab. Sie bestehen darauf, sich online zu empören und ein Anmachverbot erzwingen zu wollen.Ich zitiere einen Twitter-Dialog, der zur Talkshow bei Anne Will stattfand: „Ich will mich nicht wehren müssen. Ich will, dass mein NEIN als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Es sei denn ich sage JA.“
Meine Antwort darauf: „Verständlich. Aber man muss sich wehren KÖNNEN. Denn manchmal hilft nichts anderes. Nicht in diesen Gesellschaften.“ Es ist unrealistisch von der Dame anzunehmen, dass das immer so stattfindet und sie sich nicht auch mal konkret wehren müsste. Muss ja kein Kampf draus werden, kann ja auch verbal abgehen.
Sie darauf hin: „klar. Und wenn ich dem Tüpen eine reingehauen habe gelte ich als die hysterische Schreckschraube.“
„Ja und? Außenorientierung ist doch kein Argument.“
Wenns drauf ankommt, muss es mir doch egal sein, was andere über mich denken … oder sagen werden. Dann muss ich handeln. Ich finde es wichtig, sich von den Konventionen, dem Drang nach Akzeptanz und Liebe und Außensteuerung ein gutes Stück weit zu lösen, um autonom sein zu können. Aber damit scheinen viele offenbar überfordert.
Nun bin ich selber ein Mann. Und Vater einer kleinen Tochter (3,5). Ich bringe sie jeden Morgen in den Kindergarten und sehe dort einen ungestümen, wilden Haufen etwas älterer Jungs. Kleine Jungen haben nun mal mehr Antrieb und sind anderes als kleine Mädchen. Deshalb lege ich großen Wert darauf, dass sich mein kleines Mädchen von den Bengel nichts, aber auch wirklich gar nichts gefallen lässt. Denn nicht nur von Jesper Juul weiß ich, dass es für Mädchen wichtig ist, wie die Mutter sich gegen Übergriffe zur Wehr setzt oder sich abgrenzt. Aber in meiner Rolle als Vater, finde ich es ebenso wichtig, die Dinge klar beim Namen zu nennen und ein Vorbild zu sein: „Halt stopp!“, sage ich zu den Jungs. Und zu ihr: „Lass dir nichts gefallen von den Jungs“. Dabei kommt es schon mal vor, dass ich mich mit Müttern anlege, die instinktiv ihre Bengel verteidigen. Dabei setze ich ganz bewusst meine natürliche Autorität als Erwachsener Mann ein. Ich bin davon überzeugt, dass das eine Wirkung hat. Einerseits auf die Jungen, die so lernen, dass ihnen ein herber Wind entgegen weht, wenn sie sich anderen gegenüber nicht benehmen wollen. Und auf Mädchen, die auf diese Art lernen, dass das Verhalten des Störenfrieds nicht in Ordnung ist und das man dagegen etwa tun kann … und muss.
Das ist mein Ansatz als Papa.
Meine Tochter ist noch klein, deshalb kann ich nicht sagen, ob sie später Selbstverteidigung lernen wird. Wenn sie Lust dazu hat und es hier Spaß macht: Ich bin dabei, meine Unterstützung hat sie. Ich werde sie darüber hinaus darin unterstützten, Ihre Würde und Ihre Integrität als „unveräußerlich“ zu betrachten. Konkret bedeutet das, dass sie sich sexuelle Belästigung im Betrieb oder Übergriffigkeit in der Uni oder sonst wo auf keinen Fall gefallen lassen muss. Auch wenn sie sonst wie abhängig und scharf auf den Job ist. Dass sie sich mit allen Mitteln zu wehren vermag – verbal, juristisch und, wenn es sein muss, physisch. Denn ich bin fest davon überzeugt, dass dieses Selbstbewusstsein bekloppte Grapscher, Erpresser, Stalker und geile Böcke davon abhalten wird, sich ihr gegenüber zu vergessen. Ja, eine solche Haltung würde auch Mobberinnen abschrecken.
Und so wird sich die alte römische Weisheit erneut bewahrheiten: Si vis pacem, para bellum – Wenn du Frieden willst, rüste für den Krieg. Junge Leute wissen das manchmal nicht und ihre Vorbilder, wenn sie welche haben, vergessen diese einfache Wahrheit. Das ist für mich die Grundlage, Übergriffe im Ansatz zu verhindern. Denn in der Opferrolle hat erst einmal niemand etwas verloren.
Titelbild: „PictureYouth“; „Self-defense for girls“ von Michael Newhouse