Betreuung und Versorgung gemeinsamer Kinder nach Trennung und Scheidung – wo stehen wir?

Jenseits des Kindeswohls? Gemeinsam getrennt erziehen als Regelmodell?

Im Nachgang der Veranstaltung „Gemeinsam getrennt erziehen“ hat Ministerin Frau Dr. Barley davon gesprochen, das Wechselmodell tauge nicht als „Regelmodell“.
Regelmodell? Was bedeutet das eigentlich? Ein Gastbeitrag von Tim Walter.

Hierzu einige Punkte, die den Stand der Debatte zusammenfassen: 1. Eltern entscheiden. Immer, d.h. gemeinsam, oder auch in Trennung. Ohne Eskalation kein Leitbild, keine Einmischung, kein gar nichts. 2. Sind die Eltern also nicht vor Gericht, hat der Staat sich in jedweder Hinsicht absolut neutral zu verhalten. Das ist heute nicht gegeben, es bestehen Anreizsysteme für die eine oder andere Konstellation, ebenso existieren faktische Diskriminierungen. All das wollen wir abbauen, denn es widerspricht dem Neutralitätsgebot und auch Artikel 3 GG. 3. Wenn Sie also die Befürchtung hatten, ausgerechnet die FDP wolle Eltern irgendetwas vorschreiben, dann können Sie aufhören zu lesen: es kann und darf weder ein „Leitbild“ Wechselmodell geben, geschweige denn eine Zwangsvorgabe durch den Gesetzgeber. Dieser Gedanke mag für rechte oder linke Parteien durchaus gewürdigt und ggf. verworfen werden, ein Liberaler würde solche Gedanken überhaupt gar nicht erst erwägen, weil das abwegig ist. 4. Wo also stehen wir? Wenn Eltern sich streiten, benötigt es ein Regelwerk, wie gemeinsame Kinder nach der Trennung versorgt und betreut werden sollen.

Kein Residenzmodell gegen den Willen eines Elternteils ohne Kindeswohlgefährdung

Ein Gericht sollte das sog. „Residenzmodell“, also die althergebrachte Lösung einer betreut, einer zahlt, gegen den Willen eines Elternteils nicht anordnen, soweit eine Gefährdung des Kindes, die es auf Antrag überprüfen muss, nicht ersichtlich wird.

Die Gründe dafür sind vielfältig: – Wenn nicht beide Eltern hinter dem Residenzmodell stehen, besteht evtl. erhöhter Koalitionsdruck für das Kind – Soweit nicht beide Eltern dahinterstehen, wird ein Elternteil durch den Staat gezwungen, auf Familienzeit mit seinen Kindern zu verzichten, was eine massive Beschränkung der Lebensqualität aller Betroffenen ist, besonders der Kinder. Darüber hinaus wird dieser Elternteil obendrein noch erhebliche Teile seines Einkommens, u.U. wider seinen Willen, abzugeben haben. – Das Kindeswohl kann dabei nicht gewahrt sein; denn wenn in einem Konflikt – und der liegt nun einmal vor, wenn die Eltern sich nicht einig sind – in aller Regel bei einer n-köpfigen Familie (z.B. 4) es n-1 (z.B. 3) Betroffene gilt, sind die für die Nachtrennungsfamilie bestehenden Rahmenbedingungen nicht nachhaltig. – Wir wissen unterdessen, dass das Konfliktniveau der Eltern an sich nicht für eine Indikation/Präferenz für ein Betreuungsmodell geeignet ist. Anderslautende Meinungen sind entweder unbelegt, oder ihre Belege sind selbst problematisch und/oder veraltet. Die neueste und umfassendste Untersuchung der Psychologin Prof. Linda Nielsen von der Wake Forest University in North Carolina, USA, zeigt in einer Meta-Analyse von 54 Studien klar auf, dass es keinen Zusammenhang zwischen der sinnvollen Auswahl eines Versorgungs- und Betreuungsmodell für Getrennterziehende und deren Konfliktniveau gibt. – Dasselbe gilt für das elterliche Einkommen oder die Fähigkeit der Eltern, zu „kommunizieren und zu kooperieren“. Ein hohes Einkommen ist gut, Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit ist sind auch gut, nur eben taugt beides nicht als Schranke für eine paritätische Betreuung. – Bei einem hohen elterlichen Konfliktniveau ist besonders bemerkenswert, dass dieses im Residenzmodell äußerst kindeswohlschädlich wirkt, da in aller Regel unter diesen Umständen eine Entfremdung des Kindes vom getrennt lebenden Elternteil vorprogrammiert ist. Dies aber ist aus Kindeswohlerwägungen der größte anzunehmende Unfall (GAU). Das Kind wird dann leider nicht selten dem Koalitionsdruck des betreuenden Elternteils hilflos ausgesetzt.

Keine Automatismen zum Residenzmodell mehr

Gehen wir noch einmal zurück zur Frage nach der „Regel“. Wenn wir nun verstanden haben, dass getrenntlebende Eltern gemeinsam verantwortlich sind, ebenso wie zusammenlebende Eltern, dann stellt sich die Frage, was im Trennungsfalle diese gemeinsame Verantwortung so sichert, dass die Kindesinteressen durch das Reglement nicht beeinträchtigt werden. Wir brauchen als ein Szenario, vor dessen Hintergrund die Gesellschaft Trennungsfälle geregelt wissen möchte.
Eine Regel bedeutet dabei ausdrücklich nicht, dass es keine Abweichungen von ihr geben soll oder darf. Deshalb möchte ich schematisch noch einmal darstellen, wie wir uns den Ablauf wünschen:

  • Eltern entscheiden frei » So soll es sein. Sie sind frei in ihren Entscheidungen. Der Entscheidungsbaum ist hier beendet, es wurde eine Regelung gefunden.
  • Eltern streiten » Es gibt Hilfsangebote, Erziehungsberatung, Mediation etc. pp. durch die Solidargemeinschaft. Führt dies zum Erfolg, ist der Entscheidungsbaum hier ebenfalls beendet, es wurde eine Lösung gefunden ohne Streiteskalation, der Staat steht ihr neutral gegenüber, jede Regel ist so gut wie jede andere, wenn die Eltern sie gemeinsam treffen.
  • Eltern streiten weiter » Es folgen Anträge beim Familiengericht

Das Familiengericht soll nun nicht mehr prüfen, was „das Beste“ für das Kind ist, sondern, anders als heute, so vorgehen: Der Elternteil, der den kooperativsten Antrag stellt (bis zu 50% Eigenbetreuungsanteil), liefert die Arbeitshypothese für das Verfahren Das Gericht prüft, ob es sinnvolle Einwände gegen die Arbeitshypothese gibt, vor allem ob mit der Einrichtung der beantragten Regel Gefährdungen für das Kindeswohl einhergehen.

Wird eine solche Gefährdung nicht ersichtlich, ist das Verfahren hier beendet, und die beantragte Regelung wird beschlossen und eingerichtet (Regelfall!)
Wird eine Gefährdung des Kindeswohls offenkundig, entweder zum Zeitpunkt des Verfahrens oder aber prognostisch, etwa durch einen kurzfristig geplanten Umzug eines Elternteils an einen weit entfernten Ort bei einem schulpflichtigen Kind, muss das Gericht dann die Arbeitshypothese grundsätzlich weiterverwenden, aber so weit einschränken, wie es notwendig ist, um die bestehenden oder drohende Gefährdung abzuwenden. Keinesfalls soll ein Gerichtsbeschluss aber weitergehen, denn es handelt sich immerhin um eine Grundrechtsbeschränkung sowohl der betroffenen Kinder als auch eines Elternteils, die aber durch die ersichtlich gewordene Gefährdung bzw. ihre gebotene Abwehr eine klare Rechtfertigung finden. Insbesondere aber darf es jenseits der Gefährdungsprüfung keinerlei Prüfung verschiedener anderer Alternativen mehr geben, etwa „Vorschläge“ von „Experten“, unter denen dann in einem faktischen Akt der Willkür durch Dritte bestimmt wird, was „dem Kindeswohl am besten entspricht.“ Diese Denkweise, der Anspruch, Kindeswohl durch „Experten“ gestalten zu können, ist der zentrale Punkt, an dem das heutige System krankt und die vielen Opfer erzeugt.
Damit ist auch im Falle einer Gefährdung das Verfahren beendet.

Es ist also alles letztlich ganz einfach:

Keine staatlichen Rollen- und Familienbilder als Vorgaben, gegen staatliche Leitbilder!

Im Trennungsfall ein verkürztes Verfahren, soweit keine Gefährdungen des Kindeswohls ersichtlich werden, ansonsten Einzelfallprüfung mit Lösungsfindung unter der Maßgabe, Gefährdungen für Kinder auszuschließen, aber dennoch die Rechte aller Beteiligten nur so weit wie zur Gefahrenabwehr nötig einzuschränken
Vertiefend siehe auch das Interview mit Katja Suding, stv. Bundesvorsitzende der FDP und Sprecherin der Partei für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:
https://www.welt.de/print/die_welt/politik/article164160682/Mutter-und-Vater-sind-gleichwertig.html

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