Neidisch auf die Traumfamilie

Die Traumfamilie: Ein sich leidenschaftlich küssendes Paar, zwei Kinder und eigentlich mit Hund.

Was gehört dazu, eine Traumfamilie zu sein? Zu haben? Was? Und wo kriegt man das her? Ich habe das nicht, hatte das nicht und werde es so auch nicht mehr haben. Weder in meiner Ursprungsfamilie war es harmonisch, voller Liebe und toll. Und jetzt als Trennungsvater ist es das schon gleich gar nicht. Ich hatte keine schlechte Zeit mit der Mutter meiner Tochter. Wie wohl eine scheußliche Trennung. Ein Traumfamilie aber waren wir auch nicht. Aus meiner Sicht waren und sind das immer … andere.

Ist weiß natürlich, dass die meisten Menschen eben nicht in so etwas wundervollem wie einer Traumfamilie leben. Obwohl das Definitionssache ist. Dafür gibt es zu viele Tragödien, Trennungen und Therapiewillige.

Was meint „Traumfamilie“?

Ich glaube es meint in erster Linie eine „heile Familie“. Eine Familie, in der alle Mitglieder psychisch gesund sind und sich sehr mögen. Eine Familie, in der man liebevoll und wohlwollend, fröhlich, einfühlsam, humorvoll, friedlich und nah miteinander umgeht. Gibt es das überhaupt?

Gibt es „die Traumfamilie“? Oder ist das ein Bild, ein Konstrukt aus dem Kino, aus Fernsehserien, Märchen, Bilderbüchern und Romanen? Aus Hollywood? Ist das von dort in meinen Schädel gekommen oder dampft diese Vision aus meinem tiefsten Inneren empor – um mich zu quälen?

Natürlich stecken dahinter Bedürfnisse. Bedürfnisse nach Zugehörigkeit, Angekommensein, Liebe, Anerkennung, Wertschätzung, Heilung und Frieden. Das jedoch kenne ich eben NICHT aus meiner Kindheit. Meine Familie war dysfunktional, ich komme an anderer Stelle darauf zurück. Andererseits bekam ich sehr viel Zuneigung, Verlässlichkeit und Liebe – von meiner Oma und deren Familie.

Heute sieht für mich die Traumfamilie so aus: ein erfolgreicher, attraktiver Mann und eine wunderschöne, kluge Frau haben zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen, und einen Hund, und leben in einem Kreativviertel in einer tollen Wohnung über zwei Etagen. Sie haben vermutlich zwei Autos, vielleicht eine Ferienwohnung und es wirklich gut und schön. Sie verstehen sich gut, freuen sich aneinander und sind eine warme und nahe Familie. Die Großeltern, Tanten und Onkel, Cousinen und Nachbarn sind präsent und kümmern sich. Man lädt sich gegenseitig ein, verbringt mindestens zwei tolle Urlaube im Jahr und führt ein … glückliches Leben?

Ist doch ein Traum oder?
Selbst auf dem Buchcover Die kompetente Familie: Neue Wege in der Erziehung. Das familylab-Buch von Jesper Juul, ist solch eine eben beschriebene Traumfamilie zu sehen. Ist es also ein kollektiver Traum? Woher stammt er? Oder ist das egal?

Der Trigger

Kürzlich ging ich durch mein Viertel hier in Hamburg. Es ist ein Kreativviertel, wie ich es nenne, ein Szeneviertel, ein Stadtteil voller Lehrer, Therapeutinnen und ganz normalen Leuten aus aller Welt, von denen manche sehr gut verdienen und andere nicht. Eine Grünenhochburg, vielleicht sagt diese Tatsache etwas aus. Man wohnt hier gern, der Stadtteil hat tatsächlich eine sehr hohe Lebensqualität.

Und wie ich so gehe, sehe ich eine Frau, die ich schon öfter gesehen habe, die mir schon aufgefallen ist. Sie ist sehr attraktiv und hat das gewisse Etwas, eine anziehende Ausstrahlung, etwas Bewundernswertes. Dazu sieht sie wirklich toll aus, hat eine richtig gute Figur. Trotz der zwei Kinder, die neben ihr und ihrem Fahrrad, das sie schiebt, hertrotten. Kinder im Elementar- oder/und Grundschulalter. Auf einmal dreht sie sich um und blickt in meine Richtung. Aber nein, sie schaut nicht nach mir, sondern nach ihrem Hund. Das war der Trigger: Eine attraktive Frau mit zwei Kids, einem Hund und einem gut verdienenden Mann. Vermutlich.

Ich denke, ich liege da nicht verkehrt. Ihr Mann wird gut bis sehr gut verdienen. Keine Ahnung, aber es macht den Eindruck, als wäre das eine gesunde, glückliche, eine Traumfamilie eben. Mindestens in meinem Kopf. Kann ja sein, dass er ein Narzisst ist oder sie. Aber das glaube ich nicht. Ich glaube, dass das eine Traumfamilie ist, die etwas lebt, das mir – und vielen anderen – verwehrt bleibt. Glück in Liebe und Beruf, Glück mit den Kindern und mit der Wohnung, Glück mit eigentlich allem.

Das ist natürlich wie es sein sollte. Und es steht uns allen zu, dieses Glück, dieses Heilsein, diese heile Familie, diese Traumfamilie. Ach, ja. Aber warum ist das so schwierig zu leben, zu installieren und zu bekommen?

Ich bin neidisch auf diese Menschen, auf diese Frau, die ich gestern dort sah. Auch wenn es MEINE Projektionen sind. Es sind schöne und schmerzhafte Projektionen zugleich. Ich glaube, hier hilft nur … Loriot!

Traumfamilie a la Loriot in ÖDIPUSSI
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