„Tribe oder Digital Tribe (englisch für „Stamm“) ist eine Bezeichnung für eine inoffizielle Gruppe von Menschen, die gemeinsame Interessen teilen“ (steht bei Wikipedia) … und in Gemeinschaft um ein Lagerfeuer sitzen. So, wie es viele 100.000 Jahre die Menschen und ihre Vorgängern und Vettern gelebt haben. Das ist das Theme dieses kleinen, fast unscheinbares Buches des großartigen und mehrfach ausgezeichneten us-amerikansichen Journalisten Sebastian Junger.
Der englische Originaltitel bringt den Inhalt des absolut lesenswerten Buches besser auf den Punkt: „Tribe: On Homecoming and Belonging„. Etwa Ankommen/Nachhausekommen und Zugehörigkeit. Beides scheinen wir in unseren Gesellschaften verloren zu haben. Weshalb? Und wer sind wir? Darüber handelt Tribe.
Unser Trauma: eine Gesellschaft ohne Gemeinschaft
Warum beschließen Soldaten nach ihrer Rückkehr aus dem Krieg und in die Heimat, sich zu neuen Einsätzen zu melden? Warum sind Belastungsstörungen und Depressionen in unserer modernen Gesellschaft so virulent? Warum erinnern sich Menschen oft sehnsüchtiger an Katastrophenerfahrungen als an Hochzeiten oder Karibikurlaube? Mit Tribe hat Sebastian Junger eines der meistdiskutierten Werke des Jahres vorgelegt. Er erklärt, was wir von Stammeskulturen über Loyalität, Gemeinschaftsgefühl und die ewige Suche des Menschen nach Sinn lernen können.“
Das verlorene Wissen um Gemeinschaft und Menschlichkeit
Sebastian Junger beschreibt es ganz genau, diese verlorene Wissen. Er bringt sehr viel Beispiele und schöpft hier aus dem Vollen. Das Leben der Steinzeit- oder Natürvölker ist relativ gut erfroscht, leben doch noch einige wenige in unsere Zeit. Etwa die !Kung oder San im südlichen Afrika. Aber vor allem die indigenen Völker Nordamerikas, Jungers Heimat, führt er als Beweis für sein These ins Feld. Und seine Argumentation geht auf, leuchtet sofort ein. Ich will ich nicht so viel vorwegnehmen, aber die Anziehungskraft, die diese Völker aus uns ausüben, hat offenbar mit der tiefen Verbundenheit untereinander, die wir längst verloren haben, zu tun. Im Buch finden sich massig Belege dazu.
Ich kenne Sebastian Junger schon von seinem Welterfolg „Der Sturm“ (Englisch „The Perfekt Strom“), der mit George Clooney und Mark Walberg verfilmt wurde. Es handelt sich dabei um eine ausgezeichnete Reportage über einen der verheerendsten Hurikans an der amerikanischen Ostküste, der unter anderem für eine Monsterwelle im Nordatlantik, die die Besatzung eines Schwertfischfängerboot Andrea Gail in den Tod riss. Ein wirklich packendes, hervorragend geschriebenes und recherchiertes Buch.
Es scheint so, als hätte Sebastian Junger dabei sein Thema gefunden: Der Zusammenhalt der Menschen, der Männer an Bord, ihre Frauen an Land und die Seenotretter entlang der amerikansichen Ostküste.
Als nächstes interessierte sich Junger für den Krieg. Besser gesagt, für die Erlebnisse der amerikanischen Soldaten in Afghanistan. Seine intensive Reportage War – Ein Jahr im Krieg, zeigt nicht nur unmittelbar das Drama der Soldaten an vorderster Front in einem asymmetrischen Krieg. Es zeigt die Gefühle der Männer dort, die physischen und psychischen Extreme, die sich in und um diese Kerle abspielen. Daraus entstand auch der beeindruckende Dokumentarfilm Restrepo. Auch hier der Zusammenhalt, eine verschworene Gemeinschaft, nackte Menschlichkeit.
All das, wie auch Tribe, ist sehr gut geschrieben, authentisch, fundiert und fesselnd. Das zeichnet Sebastian Junger aus, das kann. Er ist am richten Platz und er hat sein Thema gefunden! Ein großer Teil des Buches widmet sich denn auch der sog. Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS, NIMH oder PTSD), die sich bei Soldaten zeigten und deshalb sehr gut untersucht sind. Hier lernt man einiges über diese Phänomen, vor allem, dass es eine natürliche und in der Regel vorübergehende „Störung“ ist. Junger arbeitet aber heraus, dass sich dort, von Menschen den Zusammenhalt, eine tiefe, menschliche Gemeinschaft finden und in diese eingebunden sind, kaum Störungen dieser Art zeigen, egal ob Kampfeinsatz oder etwas anderes. Das ist hoch interessant, die Schlussfolgerungen nachvollziehbar und belegt.
Tribe – Das verlorene Wissen um Gemeinschaft und Menschlichkeit dass es ein anderes Leben für uns alle gab und gibt. Eines ohne andauernde Konkurrenz und Angst, angehängt zu werden. Doch seit die Menschen keine Jäger und Sammler mehr sind, seid sie sesshaft wurden, haben sie sich nicht nur von sich selber entfernt, sie haben sich von etwas entfernt, das sie dringend und natürlicherweise brauchen, um ein gutes und sinnvolles Leben zu führen. Das ist etwas, das kann keine Sozialstaat ersetzen und offenbar etwas, dass es nur in diesen kleinen Einheiten gibt, die so leben, wie die Hominiden es mehr zwei Millionen Jahre getan haben: In einer unverbrüchlichen Gemeinschaft. Tolles Buch, wundervolle Gedanken, sehr erhellend und … wichtig, wie ich meine
Leseprobe „Tribe – Das verlorene Wissen um Gemeinschaft und Menschlichkeit“
Tribe: Das verlorene Wissen um Gemeinschaft und Menschlichkeit
von Sebastian Junger
192 Seiten, Karl Blessing Verlag (25. April 2017)
ISBN: 3896675877
Gebundenes Buch 19,99 Euro