Neurotische Kinder und wir Erwachsene

Ein ängstlicher Junge - Vermutlich wegen Kinder-Neurosen

Neurosen sind anstrengend. Nicht nur für die Betroffenen selbst. Neurosen sind sehr leidvoll. Auch für die Umgebung. Dass auch Kinder neurotisches Verhalten zeigen, war mir bisher gar nicht so bewusst. Ja, wir hatten im Haus mal zwei Mädchen, die schon vor und in der Grundschule als ziemlich nervend und seltsam empfand. Ich bin natürlich kein Kinder-Psychiater, aber für mich waren diese jungen Kinder schon neurotisch und das lag an den vier Eltern, acht Großeltern und unzähligen Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen. Die Mädchen waren im Zentrum einer gigantischen Aufmerksamkeitsdrehmaschine. Das muss zu Neurosen führen.

Eine Neurose ist eine psychische Störung, die dem Betroffenen – im Gegensatz zum Psychotiker – bewusst ist. Das Spektrum reicht von Angststörungen über Hypochondrie bis Zwangsstörungen. Auch Kinder und Jugendliche erkranken an Neurosen. Darunter versteht man ein auffälliges Verhalten dieser Kinder, das die soziale Einfügung stört. Häufig sind Essstörungen und Verdauungsstörungen, Stottern, Nägel kauen, Zerstörungslust, Geschwisterneid und übermäßiger Gehorsam. Angststörungen von Kindern gehören mit bis zu 15 Prozent Erkrankungshäufigkeit zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter.

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Neurosen bei Kindern

Ich kenne Jugendliche mit Suchterkrankungen, Magersucht, Koks. Ich kenne Jugendliche, die sich getötet haben. Ich kenne aggressive Jugendliche, die schon mal meinen Motorroller demoliert hatten. Aber bei Vorpupertären Kindern ist mir das weniger aufgefallen.

Wie berichtet, war meine Tochter 12 Tage auf großer Klassenfahrt segeln. Ich weiß noch, wie aufgeregt sie am Tag ihrer Abreise morgens nach dem Aufstehen war. Sie bekam kaum einen Bissen von dem üppigen Frühstück, das ich hier bereitet hatte, runter. Natürlich hatte sie Angst – Angst vor dem Segeln, vor der Seekrankheit, und vor allem davor, rund 2 Wochen ohne Handy und ohne Kontakt zu ihren Eltern mit ihrer Klasse auf sich gestellt zu sein. Dafür habe ich selbstverständlich jedes Verständnis. Ich unterstützte sie, so gut es möglich war und als sie sich am Bahnhof endlich im Kreise ihrer Klassenfreundinnen befand, war praktisch alle Aufregung verflogen. Alles ganz normal.

Aber nach der Reise kam es raus. Wie sie erzählten, wurden 4 Kinder von ihren Eltern bevor es an Bord des großes Segelschiffs ging, abgeholt. Sie konnten die tolle Klassenreise nicht zu Ende machen und nahmen sich ein großes Stück guter Erinnerungen, Erfolgserlebnisse und Gemeinschaftserfahrung. Traurig.

„Angststörungen“

Ja, traurig. Die Kinder, ein Junge und drei Mädchen, waren zu ängstlich und kamen nicht mehr runter von ihrer Heulerei. Es half alles nichts. Ein weiteres Kind war wegen einer seltsamen Erkrankung gar nicht erst dabei. Es sieht also so aus, als wäre ANGST die Ursache für den Zusammenbruch der Kinder. Neurotische Angst. Denn die anderen Kinder hatten sich auch Angst vor dem Segeltörn, aber bewältigten sie durch Mut und Gemeinschaft. Ganz abgesehen davon, dass meine Tochter bei mir keine Chance gehabt hätte, mit Angst einen Abbruch des Abenteuers zu erzwingem.

Ich weiß von einem Mädchen, das abgebrochen hat und das ich relativ gut auch aus der Grundschule meiner Tochter kenne, dass es sehr sensibel ist. Es gab da eine lähmende Szene kurz nach dem Tod ihrer Großmutter, als dieses arme Mädchen auch deutliche Symptome einer Neurose zeigte. Ihr Vater ist abwesend, kümmert sich nicht um sie. Dafür aber einige Onkel, sie ist Kurdin.

Nebenbei bemerkt, kenne ich mich mit der Sache etwas aus, da ich mal in der Psychiatrie als Krankenpfleger gearbeitet habe. Ich weiß aus eigenen Erfahrung, dass manch Kinder zu fein im Sinne von Sensitiv für die grobe Umwelt des ruppigen Miteinanders von SchülerInnen sind.

Von ihrer aktuell besten Freundin, die sich als nächstes nach Hause holen ließ, weiß ich, dass es zwischen ihren Eltern nicht zum Besten steht und ihre Mutter, na ja, kifft, Schicht arbeitet und sich gern auf Technoparties wegballert.

Ein weiteres Mädchen leidet schon seit Jahren unter einer Angststörung, ihre Eltern versuchen alles, um ihr zu helfen. Ihr Vater ist Erzieher. Aber machen sie vielleicht zu viel? Ich kann das nicht beurteilen. Vielleicht wird zu schnell zu viel therapiert … Andererseits könnte auch ein Geburtstrauma oder ein anderes Trauma ursächlich für die Angstneurose sein.

Das letzte Kind war ein zeitbesaiteter Junge, der vor Angst nicht mehr konnte und abgebrochen hat. Ihn kenne ich nicht weiter, weiß aber, dass beide Eltern, von denen ich kaum etwas weiß, sich kümmern.

Therapie oder kaltes Wasser?

Ist ein Sprung ins kalte Wasser, wie es zu meinen Zeiten noch üblich war, nicht manchmal sinnvoller, als das ständige Problematisieren und Therapieren? Wir können froh sein, wenn unsere Kinder keine Anzeichen von Neurosen haben und neurotisches Verhalten nur im üblichen, im gesellschaftlich „normalen“ Rahmen zeigt. Shopping, Handynutzung, Konflikte mit Freundinnen. Denn die hier beschriebenen Neurosen sind super anstrengend, auch und gerade für Eltern und Angehörige. Eltern sind zu oft hilflos und überfordert, Hilfe manchmal kaum wirklich möglich, neurotisches Verhalten übt sich ein und setzt sich fest.

Irgendwo müssen die neurotischen Erwachsenen ja herkommen. Da wundert es nicht, dass auch schon frisch Pubertierende in Strudeln der Angst versinken. Klar, die meisten Neurosen entstehen später, in der Adoleszenz, also im jungen Erwachsenenalter. Meine These aber bleibt, in dem ich behaupte, dass die Eltern durch ihr Verhalten bestimmte neurotische Verhaltensweisen ihrer Kinder fördern oder … eindämmen. Und dass ein guter Vaterkontakt zwar kein Garant dafür ist, nicht neurotisch zu werden, aber nicht selten schon eine entscheidende Rolle spielt. Vor allem seine Beziehung zur Mutter scheint wichtig zu sein bei der Verhinderung von Angstneurosen in jungen Jahren.

Kinder unserer Zeit

Ich denke, wir alle sind Kinder unserer Zeit und können nicht aus unserer Haut. Nur sieht es so aus, dass wir diese vielen neurotischen Erscheinungen bei Kindern früher nicht hatten. Entweder, weil wir sie nicht sahen, nicht sehen wollten, nicht wahrnehmen konnten – oder weil es sie schlichtweg nicht gab.

Handelt es sich also um einen „gesellschaftlichen“ Fortschritt, wenn wir Kinder mit Neurosen erkennen, schonen und behandeln (lassen). Oder ist das übertrieben? Oder, was schlimm wäre, Ausdruck einer Psychologisierung, einer Pathologisierung, die bestimmte Symptome noch verstärkt. Wir sind es gewohnt, überall Defizite zu sehen und auch unsere Kinder perfekt haben zu wollen – kreative Kinder von der Grundschule, über das Gymnasium und Studium, bis hin zur Promotion und dem Doktor-Titel. Bei Mädchen nicht so wichtig, ihr wisst schon, sie soll sich einen Doktor einfach angeln. Ist es das?

Neurosen, das wissen wir spätestens seit Woody Allen, gehören zu unserer Lebensweise dazu. So, wie wir leben, mit den 1000 Zwängen eines aus den Fugen geratenen Leistungsgesellschaft, die das Gegeneinander betont, anstatt das Mitgefühl, die sogar die gesamte Welt zerstört, bleibt es nicht aus, dass wir krank werden. Vielleicht ja von Kindesbeinen an. Aber ich will nicht zu denjenigen gehören, die alles krankreden und pathologisieren. Aber ich verstehe, dass grundsätzlich etwas mit unserer Art zu leben nicht stimmt. Das Leiden an Neurosen ist furchtbar. Wie wir damit umgehen? Hören wir wieder auf unser Herz? Oder lieber auf die Fachleute? Sehen wir die Gesellschaft mit ihrer rauhen Realität oder therapieren wir uns das schön?

Mehr zum Thema: Arten von Störungen bei Kindern und Jugendlichen

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