Männer trauern anders – eine Buchkritik

Trauerkerzen - Männer trauern anders

Die These ist: Männer trauern anders. Nicht, weil Klischees gelebt werden, sondern weil sie Männer sind. Thomas Achenbach ist erfahrener Trauerbegleiter und bringt uns in seinem tollen Buch die Sache mit der Trauer näher, um uns selber, um Männer besser zu verstehen. Und er sagt in seinem Buch klar: „Die Männertrauer, also eine nach festen Kriterien messbare – die gibt es nicht. Denn wie Menschen in einer Trauer- oder Verlustkrise reagieren, ist von Fall zu Fall unterschiedlich und immer ganz individuell.“

Das Thema – Verlust, Tod und Trauer – passt zum November. Startet dieser scheußliche Monat mit Allerheiligen – mit dem wir in Hamburg nichts zu tun haben – kommt der Volkstrauertag zum Gedenken an die Abermillionen Kriegstoten und der Totensonntag, an dem die Protestanten ihrer verstorbenen Angehörigen gedenken. Es ist also die richtige Zeit, sich mit unserer Trauer auseinander zu setzen.

Ich bin ja selber ein Mann und kann nicht beurteilen, ob Männer und Frauen anderes trauern. Es war auch noch nie Thema. Ich selber weiß, dass jeder Mensch anders trauert und dass das gut so ist. Ich bin ausgebildeter Sterbebegleiter und hatte in meinem Leben leider viele schmerzhafte Erfahrungen machen müssen. Wobei Trauer nicht unbedingt immer mit dem Tod eines lieben Menschen in Verbindung stehen muss. Auch Trennung vom Lebenspartner, von den Kindern, der Heimat oder der Firma erzeugen Trauer und wollen bewältigt werden.

Für mich gehört Trauer zu den schwierigen Gefühlen. Nach meiner Erfahrung haben wir es bei uns regelrecht verlernt, mit Trauer umzugehen und zu leben. Wir haben keine Vorbilder, wir begegnen der Trauer im Alltag kaum noch, sie wird versteckt und ausgeblendet. Kein Wunder also, dass viele mit diesen Gefühlen überfordert sind – sie wissen schlicht nicht, wie sie damit umgehen sollen. Hinzu kommt, dass wir von Kleinauf lernen, dass Trauer etwas ist, das man wegmachen muss oder wegmachen kann. Sofort kommt der Trost, wenn es einem nicht gut geht oder Tränen kullern. Man kommt kaum auf die Idee, das traurige Gefühle dazugehören, in Ordnung sind, einem nicht bedrohen und einfach gefühlt werden wollen. Man muss sie nicht wegmachen. Sie gehen von allein. Und irgendwann kommen sie wieder.

Ich selber habe eine ganze Familie schon verloren. Ich bin in zwei Familien groß geworden und eine ist schon fort. Besonders der Tod meiner Großcousine, die von ihrem Mann erstochen wurde, war eine der schlimmsten Erfahrungen, die ich machen musste. Da ich aber schon lange keine Schwierigkeiten damit habe, mir Überforderung und Hilfsbedürftigkeit einzugestehen, habe ich mir schnell Hilfe gesucht und Trauerbegleitung in Anspruch genommen. Dazu habe ich ein Buch über das Trauern gelesen, das mir sehr geholfen hat. Ich habe dadurch gelernt, dass Trauern nicht bedeutet, dass man dauernd weint und ganz bedrückt ist. Und ich habe verstanden, dass Trauer kein Prozess ist irgendwann absolut abgeschlossen ist. Sondern Trauer um einen geliebten Menschen, der gestorben ist, kommt immer wieder hoch und es ist immer ein Loch in seinem Leben, das von diesem Menschen einmal ausgefüllt war. Das ist traurig. Und diese Trauer ist in Ordnung. Sie ist für jeden anders. Leider weiß ich nicht mehr, wie dieses Buch hieß, aber ich suche noch danach.

Aschenberg beschreibt aber genau meine Erfahrung im 1. Kapitel Männer trauern, aber anders – über die Unteschiede in der Trauer, in dem er darlegt, „dass es nach dem Verlust eines Menschen keine quantifizierbaren und immer gleichen Kriterien gibt, wie der Verlauf des Trauerprozesses zu sein hat, sein wird, sein sollte. Das ist tatsächlich bei jedem Menschen ganz anders, es gibt kein Muster, an das man sich halten muss, aber auch keines, das Halt geben könnte. Jeder Trauerweg verläuft anders und braucht seine eigene Zeit.“ So ist es, so empfinde ich es und diese wesentliche Erkenntnis ist … erleicherternd.

Trauern ist ein schwieriges Thema, um das wir uns gerne drücken. Immerhin müssen wir selber einmal dieses Leben verlassen. Und das alles macht die Trauergefühle eben zu schwierigen Gefühlen.

Und was ist nun mit uns Männern und dem Trauern?

Bei mir ist es so, dass ich weniger geweint habe, als ich dachte, wollte und konnte. Wir wissen seid Elisabeth Kübler-Ross, das Trauern in Phasen verläuft. Nicht als linearer Ablauf, aber auch nicht als klar abgegrenzte Vorgänge. Auch die Äußerung von Trauer ist sehr vielfältig. Stummsein, Rückzug gehören dazu, aber auch Wut, Angst, auch zu lautes Lachen, sehr lebendig zu sein und das tiefe Gefühl ganz bei sich zu sein. Und das im Wechsel, es ist sehr dynamisch. Bei mir kommt Lähmung vor, natürlich weinen, aber auch Wut. Meine Trauer äußert sich nicht selten in Wut. Wut auf alles Mögliche. Ich glaube, dass hier der Hase im Pfeffer liegt. Obwohl ich glaube, dass auch Frauen in Trauer wütend sein können, ist diese Form vermutlich etwas, von der eher Männer betroffen sind: Wut und Lähmung.

„Wie trauer sich auswirkt, ist grundsätzlich und unabhängig vom Geschlecht sehr unterschiedlich-“
– Thomas Achenbachin Männer trauern anders

Es ist auf jeden Fall gut, sich mit seiner Trauer intensiv auseinander zu setzen. Es ist gut, ein Buch darüber zu lesen, es ist gut Gespräche darüber zu führen, es ist gut, eine Selbsthilfegruppe aufzusuchen oder professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Da es um unser Leben und unsere ureigenen Gefühle geht und Trauer etwas ist, dass uns das ganze Leben über begleitet, ist es unumgänglich, damit klarzukommen, eine Haltung dazu zu entwickeln … und sie wirklich zu fühlen. Der Untertitel von Achenbachs Buch Männer trauern anders lautet denn auch: „Was ihnen hilft und guttut“.

Gut täten Männer sicher daran, frei und offen mit anderen über diese Themen zu reden. Aber, ach, das machen sie offenbar nicht. Wie Achenbach in seinem Buch feststellt, werden Trauergruppen und Trauertreffs überwiegen von Frauen besucht. In Hospiz- und Palliativ-Einrichtungen lassen sich Männer kaum blicken. Allein wenn ich das lese, tut es mir schon weh. Was ist nur los mit den Kerlen? In all diesen Bereich, auf Fachmessen, in Selbsthilfegruppen und Ehrenämtern finden sich zu 80-90% Frauen. Es sieht so aus, als würden sich Männer zu Themen mit schwierigen Gefühlen oder wo Gefühle das zentrale Thema sind, instinktiv rarmachen und rausnehmen. Kürzlich sprach ich mit einer Psychologin, einer Psychotherapeutin, die meinte, auch beim Studiengang Psychologie würden sich überwiegen Frauen einschreiben. Ich finde das bitter für uns Männer, aber deshalb führe ich ja auch diesen Blog.

Ich finde den Ansatz in diesem Buch sehr interessant und könnte weite Teile aus dem Buch hier zitieren. Das Unterkapitel „der neue Mann – und warum er trotzdem nicht weint“ untersucht die Gefühlslegasthenie bei vielen Männern und fragt: „Wo kommt es eigentlich her, dieses Idealbild des harten Mannes, der seine Gefühle lässig abstreifen und als einsamer Wolf seinen eigenen Weg gehen kann?“ Für mich ist das die zentrale Frage von Männerlichkeit, die wesentliche Frage unseres Selbstverständnisses als Mann. Denn aus meiner Sicht geht es nicht nur um Trauer, also um schwierige Gefühle – es geht um alles, weil man für beinahe alles – außer vielleicht für bestimmte Berufe in Industrienationen – Gefühle und Emotionen braucht. Für Beziehungen, Kindererziehung, Begegnungen, Interessen, Gesundheit und Lebensführung. Hier liegt vermutlich auch der Schlüssel verborgen, weshalb Männer kürzer leben und weshalb sie eher zu Alkohol und Drogen neigen als Frauen. Bitter ist es, wenn Männer sich nicht in den Arm nehmen und Gefühle zeigen können, wenn sie nicht … darüber reden können.

Was ist die Antwort dazu in Männer trauern anders? Nun, ich will dem nicht vorgreifen. Kauft das Buch und lest selbst. Es geht darum, sich mit der eigenen Männlichkeit und seinen Gefühlen immer wieder und auf verschiedene Arten auseinanderzusetzen. Dann klappt es auch mit dem Trauern, was ein sehr gesunder Prozess sein kann – wenn er nicht in die Depression kippt. Daher sind die Antworten auf bestimmte Fragen der männlichen Trauer in dieser Buchkritik nicht wichtig. Wichtig ist die Haltung, mit der du mit deinen Gefühlen umgehst. Ich halte dieses Buch gerade mit diesem schwierigen Thema für eine große Bereicherung in deinem Bemühen und guter und GANZER Mann zu sein.

„Frauen weinen und Männer fressen alles in sich rein“ – ganz so drastisch wie dieses Klischee sind die Unterschiede zwischen Männern und Frauen zwar nicht. Dennoch unterscheidet sich die Herangehensweise von Männern, mit ihrer Trauer umzugehen und den Schmerz zu bewältigen, deutlich von der weiblichen, so der erfahrene Trauerbegleiter Thomas Achenbach. Aber wenn es nicht das Gespräch mit der besten Freundin ist – was tut trauernden Männern dann gut? Wie können Angehörige, Freunde oder Kolleginnen einen Mann in seiner Trauer unterstützen?
Mithilfe vieler Beispiele aus der Praxis und vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen vermittelt der Autor umfassendes Wissen und praktische Tipps, um trauernde Männer ihren Bedürfnissen entsprechend unterstützen zu können. Ein Buch, das hilft, trauernde Männer besser zu verstehen und zu begleiten.

Autorenbiographie
Thomas Achenbach ist Redakteur, Blogger und zertifizierter Trauerbegleiter nach den Standards des Bundesverbands Trauerbegleitung. Als Trauerbegleiter ist er spezialisiert auf die Themen Männertrauer und Trauer im Arbeitsleben. Er ist verheiratet und lebt mit Frau und Kind in Osnabrück.

 
Fazit
Kaufen. Das Buch gehört in jedes Männerbuchregal direkt neben das Grillbuch, den Rennwagenbildband und den Baumarktkatalog. Aber lesen muss man es schon. Ich fürchte nämlich auch, dass Männer weniger lesen, als Frauen, obwohl es mehr Autoren als Autorinnen zu geben scheint. Jedenfalls ist das Buch Männer trauern anders sehr gut geschrieben und leicht lesbar. Es ist gehaltvoll und bringt uns nicht nur das Thema Trauer näher. Es geht, wie ich meine, um das Mannsein an sich. Und wer glaubt, dass ihn das Thema Trauer (noch) nix anginge oder nicht dran sei, der braucht nur zurückschauen. Ist da nicht der Tod der Großeltern? Oder eines Haustieres? Ist das Leben nicht voller Verluste und Abschiede, Trennungen und Wunden? Kann alles betrauert werden. Warum? Dabei du weiter lebendig bleibst, damit du dir nicht abhanden kommst, damit du einen lebensbejaenden, nicht verdrängenen Zugang zum Leben bekommst oder behalten kannst. Denn ein gutes, reiches, sinnvolles Leben ist ohne Trauer nicht denkbar. Weil wir Menschen sind.

Männer trauern anders gibt auch sehr konkrete Ratschläge. Für viele Männer ist das sicher genau richtig, weil sie manchmal nicht wissen, wie reich das Leben ist und was sie alles machen können, wenn es ihnen nicht gut geht, was sie tun können, um am Leben teilzunehmen. Weil sie sich vielleicht noch niemals wirklich damit auseinandergesetzt haben, was ihnen wirklich guttut. Im Buch geht es um Musik, um Gefühle zu fühlen, es gibt Ideen dazu, wie und wo man eine Trauergruppe findet. Meine Themen sind das eher nicht. Ich bin eher am Innenleben interessiert und nicht so sehr an konkreter Hilfestellung. Aber das wird ja alles in dem Buch behandelt. Siehe unten das Inhaltsverzeichnis der Leseprobe.

Ich muss leider das Kapitel „Rausch, Exzess und Depression – wenn nur noch Extreme möglich sind“ kritisieren. Es passt nämlich nicht ganz zu einem Kapitel weiter hinten: „Schmerztrigger und Dauerschleifen“ bzw. Schmerzfallen, Einsamkeit und Männergesundheit. Der Autor ist beim Thema Männer und Alkohol in einer schwierigen Trauerphase ambivalent. Er erfasst zwar hier die Problematik und nennt Alkohol zurecht „Teufelszeug“. Die Gefahr ist groß, Alkohol als tödlichen Trost einzusetzen. Wobei ein kleiner Schwipps den Zugang zu versperrten Gefühlen, zur Trauer, öffnen kann, was hilfreich sein könnte. Leider sind es nur zwei Seiten zum Thema, es hätten ruhig mehr sein können, um es noch deutlicher zu machen, das Alkohol am Ende nicht hilft. Du kannst dich auch sportlich erschöpfen, um an deine Gefühle zu kommen, eine Massage, ein warmes Gespräch mit einem wohlwollenden Menschen, ein Buch, ein Film, Musik. Alkohol sollte aus meiner Sicht in diesen Zusammenhängen, den Gefülspanzer für die Trauer aufzubrechen, nicht angesezt werden. Das Risiko, dass das Gehirn hier etwas lernt, was am Ende zum Problem wird, ist zu hoch.

Die Buchgestaltung gefällt mir auch nicht so gut. Es ist so weit gut lesbar, aber das Layout geht noch besser. Die Zwischenüberschriften oder Unterthemen wie „Trauern als Paar – wenn zwei Erwachsene so bedürftig werden wie Kinder“ stehen irgendwie verunglückt ohne Abstand nach unten über dem sehr guten Text. Muss man so nicht machen. Aber es ist eine Laplie angesichts des Gehalts dieses eigentlich unverzichtbares Trauerbuchs. Ich kann dieses Buch „Männer trauern anders“ wirklich jedem Mann wärmsten und mit dem besten Wünschen ans Herz legen. Es ist ein ungewöhnliches Buch, eins das bisher gefehlt hat. Es hilft uns, weitere daran zu arbeiten, bessere Männer zu werden, andere Männer, die, die wir sein könnten.

Männer trauern anders – Was ihnen hilft und guttut

Buch hier kaufen
von Thomas Achenbach
168 Seiten, Patmos Verlag (18. März 2019)
ISBN: 3843611319
Taschenbuch 17,- Euro

Buchcover Männer trauern anders

Leseprobe Männer trauern anders
meanner-trauern-anders

Literaturliste weiterer Trauerliteratur.

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