Die reichlich fließenden wilden Wasser der Wut

Ich kenne Väter, die sind der Wut angeklagt. Wut gehört nicht zum guten Ton. Wut gehört sich nicht. Wut macht Angst. Wut ist zu unangepasst in unserer durchstrukturierten, überregulierten Welt. Wut verunsichert, geht nicht zusammen mit unserem extremen Bedürfnis nach Sicherheit. Wut befreit. Wut klagt an. Wut schützt. Wut ist gut. Wenn Väter wütend werden und in den Fokus juristischer Anklagen geraten, steckt dahinter meistens eine zerstörte Familie, eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, ja eine Entrechtung, Entwürdigung, Entwertung und vor allem eine tiefe Verletzung, eine Kränkung, weil dem Vater durch die Mutter die geliebten Kinder entzogen werden, weil die Mutter z.B. konfliktunfähig ist, unfähig, mit Gefühlen wie Schuld und Angst umzugehen, mit krisenhaften, tief verunsichernden Situationen und ihr Kind dafür instrumentalisiert, um sich ganz der Projektion ihrer „negativen“ Gefühle auf den ehemaligen Vater, der ganz im Fokus ihres Hasses steht, hinzugeben. Diese komplizierten Situationen sind so verwirrend, dass man schnell aus dem Auge verliert, dass die Wut des Vaters etwas Natürliches ist, berechtigt, nachvollziehbar, und einhergeht mit seiner Trauer, am alltäglichen Leben seiner Kinder nicht mehr teilhaben zu dürfen.

Wenn dann noch eine Generation von Anwälten in diesen Dingen herumwühlt und auf „Glatzen locken drehen“, wenn solche Leute, die von menschlichen Gefühlen und dem Internet ungefähr so viel verstehen, wie ein Ochse vom Sonntag, mit dieser Wut konfrontiert werden, wird es schlimm. Wie will man Leuten etwas nahe bringen, von dem sie noch nie gehört haben, dass sie aber selber in sich herumschleppen und nur abgetötet haben? Nämlich den Willen zur Lebendigkeit, der ihnen von klein auf aberzogen wurde? Wie will man ihnen von diesem Land erzählen, von einem Land der Texte, der Sprache, der Schrift, Erinnerung und der … Pixel? Von einem Land des Ausdrucks, der Kunst und des wilden Humors, der Polemik und der reichlich fließenden wilden Wassern der Wut? Sie werden nicht kapieren, können niemals dieses Land erreichen oder sich vorstellen, dass es dort … Leben gibt. Sie werden versuchen, den wütenden Vater unschädlich zu machen, sie werden ihn bekämpfen, sie werden ihn klein machen und bekämpfen.

Doch zum Glück gibt es viele helle Köpfe auf der Welt. Und die wundervollste Sonntagszeitung, die man nur machen kann: Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Dort lesen wir Sätze, wie diesen von Peter Handke zu unserem heiklen Thema, der Wur nämlich: Schimpfen ist ein Ausdruck von Hilflosigkeit oder „Der Zorn ist kochendes Wasser in einem brodelnden See, sagen die Buddhisten, aber am Ende kommt es mir vor, dass all diese harten Empfindungen, in denen manche schwere Sünden sehen und andere einen notwendigen Schutz, in erster Linie nach einer segensreichen Bedeutung verlangen, und in dem Moment, in dem wir ihnen die richtige Bedeutung zumessen, können wir mit ihnen leben“, von der wunderbaren israelischen Autorin Zeruya Shalev.

In der Ausgabe der F.A.S. vom 11. Oktober 2015 schreibt zum Thema Wut, die gut wäre und wichtig, aber, im Gegensatz zu Empathie kein neues Leben beschwert: „Wut, das ist das beherrschende Gefühl in der Ära sozialer Medien. Untersuchungen haben wieder und wieder gezeigt, dass wir dazu neigen, eher solche Informationen online zu teilen, die uns wütend machen, als jene, die Glück oder Traurigkeit auslösen. Wer (wie ich) im Internet arbeitet, weiß, dass man ein größeres Publikum erreicht, wenn man diese Wut anfacht … vielleicht, wer weiß: Wenn genug Leute von diesen ganzen Ungerechtigkeiten und Schweinereien erfahren, dann werden sie abgestellt.
Aber Wut ist wie eine Kerze, die an beiden Enden brennt – sie brennt hell, aber zu schnell. Wenn wir uns die Zeit nehmen und in die Tiefe gehen, stellen sich die meisten Probleme fast immer als komplex und groß heraus …“

Das Lied Scheisskind von Schweißer (ich selbst bin ausgebildeter Schweißer, Hafenarbeiter, ist aber schon lange her) wird von Opa wieder überhaupt nicht verstanden, ausgedruckt, seiner Anwältin geschickt, die daraus wieder Locken dreht und mir einem neuen Antrag auf Gefängnis vor die Füße knallt. Macht nichts. Diese gefühllosen, unempathischen Leute können eben mit Gefühlen und deren (künstlerischen) Ausdruck nicht umgehen. Ihnen fehlt Tiefe, Empathie und Ausdrucksvermögen, sie sind intolerant, innerlich verarmt und eigentlich bemitleidenswert.

Ich bin der Vater einer wundervollen Tochter. Ich kann meine Gefühle verbalisieren, ich kann sie ausdrücken in Worten, Texten, Lyrik und in Musik. Ich kann meine Wut in Texte gießen und in einen Song. Ich bin eher eine Künstlerseele, als Beamter, Arzt oder „Akademiker“. Damit können heute die bestimmenden Klassen nicht umgehen. Sie versuchen zwar, die Schäden, die sie in den Seelen ihrer Kinder anrichten und angerichtet haben, abzumildern und vielleicht sogar zu korrigieren. Aber sie verstehen die Sache nicht von innen, sie arbeiten ausschließlich im Äußeren. Aber es fehlt an ganz etwas Anderem. An Dichtern fehlt es, an Sängern, an Musik und Kunst, an wilden Wassern der Wut, die uns retten können aus einer … Gesellschaft, die mit ihren geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen dem komplexen Leben des Menschen kaum je gerecht wird.

wut habe nu

ankotze mir
abgehe das
hufschabe stier
faustballe tasch

glutleuchte haupt
dickschwelle hals
ausmache staub
gleichschreie knalls

fußstapfe tob
handkante zeig
luftfahre grob
mundpresse schweig

rumdrehe keck
wutdampfe stink
wortschimpfe dreck
rotlampe blink
© all rights reserved. Mark Max Henckel

Und hier noch einmal die brillante „Wutrede“ des Wolf Biermann am 7.11.2014 im Deutschen Bundestag. Drachenbrut. Mit der habe ich es in der eigenen Familie leider auch zu tun. Nur dass sie keine Kommunisten sind, sondern Heuchler und Nihilisten.

Drachenbrut

Foto: Bestimmte Rechte vorbehalten von twicepix

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