Tabuthema „Sexualbegleitung“ im Pflegeheim und für Menschen mit erweitertem Assistenzbedarf

Tabuthema "Sexualbegleitung" im Pflegeheim und für Menschen mit erweitertem Assistenzbedarf

Man sagt nicht „Behinderte“, oder? Man sagt: Menschen, mit erweitertem Assistenzbedarf. Denn das sind auch oft alte und kranke Menschen. Aber man sagt nicht Altenheimbewohner, man sagt Papa oder Mama, Tante, Onkel oder Cousine und Cousin. Es sind Menschen, die sich mehr vollständig für sich selber sorgen können. Und unter Umständen eine große Sehnsucht nach Nähe, Berührung, nach Zärtlichkeit und Sex haben. Aber das scheint für diese Mitbürger nicht vorgesehn.

Ich stieß in Facebook auf dieses Video, als Ausschnitt und Teaser für die Reportage: „Sexualbegleitung für Menschen mit Behinderung: Edith liebt ihren Beruf“. In diesem kleinen Video geht es offenbar um einen älteren Herren, einen Vater in einem Pflegeheim. Dieser grapscht nach den Schwestern, was die natürlich gar nicht mögen. Aber wo hin mit seinem Trieb, seinem Drang nach Berührung und Berührtwerden, den er vielleicht sein ganzes Leben schon sehr stark spürte? Hier kommt die „Sexualbegleitung“ ins Spiel. Ich denke schon, dass es sich von der klassischen Prostitution unterscheidet, aber wenn man so will, ist es nicht anderes. Eine Frau besucht notgeile Alte und verschafft ihnen Linderung.

Ich finde das gut und ganz natürlich. Aber Sexualbegleitung gibt es nicht nur für Alte, sondern auch für Menschen mit Behinderung, mit erweitertem Assistenzbedarf, die keinen Sexpartner finden (können oder wollen). Ist doch super das es das gibt.

„Papa gefällt es, er fühlt sich jetzt wohler.“

„Der Vater ist an Demenz erkrankt, lebt im Pflegeheim und sucht körperliche Nähe. Im Video teilt seine Tochter (die anonym bleiben möchte) ihre Gedanken und Zweifel. 37 Grad zum Thema: „Die Berührerin“!

Was genau ist tabu daran? Weil der „alte weiße Mann“ ein alter, weißer Mann ist? Unansehnlich, unappetitlich, sabbernd, beschmutzt, schlecht riechend? Ist das das Vorurteil? Oder ist es eher was Moralisches, dass man bestimmte Dinge ab einem gewissen Alter nicht mehr tut und nicht mehr nötig hat? Sex zum Beispiel? Aber wer sagt, was wer nicht (mehr) nötig hat? Wer bestimmt, was man in welchem Alter zu tun oder zu lassen hat?

Es ist ganz natürlich, dass Sexualbegleiterinnen Anspruch auf Würde und Respekt haben und ihr Klientel eben sauber und ordentlich gewaschen zur Verrichtung bereit ist. Das ist klar. Und genau dasselbe gilt auch für Behinderte. Ich denke, dass so mancher Mensch mit erweitertem Assistenzbedarf mehr Spaß am Sex hat als so manches normales Muttchen, mancher verklemmter Kerl und manche pikierte Frau, welchen Alters auch immer.

Und wenn es Menschen gibt, BerühungsexpertInnen und SexualbegleiterInnen, die das gern und überhaupt machen, dann ist doch allen geholfen. Bleibt beweglich, Leute, lernt und öffnet das Herz. Solange man anderen nicht schadet, ist alles erlaubt. Egal, wie alt man ist und was einem plagt.

Berührungen, Sex und Zärtlichkeit sind für uns Menschen sehr wichtig

Berührungen, Sex und Zärtlichkeit sind für mich Grundbedürfnisse und es ist ein einzigartiges Trauerspiel, das viele Menschen in Heimen, Einrichtungen und Wohngruppen keine Möglichkeit haben, diese Grundbedürfnisse erfüllt, gestillt zu bekommen. Dafür gibt es eben die Sexualbegleitung. Es hat mit Würde und mit Menschsein zu tun. Und wer damit ein Problem hat, sollte mal in sich gehen, welches „wahre Problem“ dahintersteckt. Neid? Die Negierung der eigenen Bedürfnisse von Kindheit an? Schwarze Pädagogik?

Liebt euch, solange es geht. Seit verliebt, bei allem, was ihr tut. Sorgt für eure körperlichen Bedürfnisse, zu denen auch der Sexualtrieb und der Wunsch nach Berührungen gehört. Berührungen erhalten und geben. Das alles sollte das Natürlichste der Welt sein, aber unsere konservative, engstirnige Art zu leben, hat dieses Selbstverständliche beinahe verunmöglicht. Gut, dass wir uns als Menschen und als Gesellschaft entwickeln, und die Sexualbegleitung bzw. die fundamentalen Bedürfnisse aller Menschen, ob junge, alt oder behindert, aus der Dunkelzone ins helle Licht der zärtlichen Fürsorge und genussvollen Nähe holt.

Wenn ich alt bin, will ich das auch haben und genießen. Ist doch was Schönes!

Video: Sexualbegleitung für Menschen mit Behinderung: Edith liebt ihren Beruf (Ganze Folge, 37 Grad)

Mehr zum Thema Sexualbegleitung auf der Seite von AKTION MENSCH: Die Berührbaren

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