Warum Lerntentwicklungsgespräche sinnvoll sind – Eine Replik auf den Mumpitz auf SPON

Kind vor dem Lernentwicklungsgespräch

Der Hamburger Schulsenator Ties Rabe hatte die verpflichtenden Lernentwicklungsgespräche von zwei pro Schuljahr auf eines herabgestuft. Dies tat er, um die Lehrkräfte stundenmäßig zu entlasten. Dabei steht es selbstverständlich jeder Schule frei, weiterhin zwei Lerntentwicklungsgespräche pro Schuljahr anzubieten. Und das machen auch Schulen, beispielsweise die Reformschule Max-Brauer-Schule in der Mittelstufe.

Meine persönlichen Erfahrungen mit den Lerntentwicklungsgesprächen im Falle meiner Tochter an der Grundschule sind gemischt. Das Lerntentwicklungsgespräch in der ersten Klasse war sehr gut. Sie hatte sich am besten von allen SchulerInnen der Klasse am besten selbst eingeschätzt, jedenfalls stimmt die Selbsteinschätzung weitestgehend mit der ihrer Lehrerin überein. Leider nahm ihre Lehrerin, die einen sehr leistungsorientierten familiären Hintergrund hat, im Lauf der Grundschuljahre eine andere Entwicklung. Weinte meine Tochter, weil sie in den großen Ferien ihre Lehrerin 6 Wochen nicht sehen konnte, findet sie diese jetzt nicht mehr so gut. Die Beziehung konnte offenbar von der Lehrerin nicht aufrechterhalten werden. Klar, wenn Leistung wichtiger ist als eine gute, warme Beziehung.

Und so flossen dann bei dem zweiten Lernentwicklungsgespäch bei meiner Tochter die Tränen, weil sie das Gefühl haben musste, zu viel falsch zu machen. Ich musste sehr deutlich machen, dass wir uns in der Grundschule befinden, und hier die Kindheit wichtiger ist als Mathematik. Auch die anwesende 2. Lehrerin – Kunst und Sachkunde – sprang meiner Kleinen positiv zur Seite und stelle ihre sozialen und ihre grundsätzliches Engagement heraus.

Beim 3. Gespräch hatte dann nach meinem Gefühl, die Grundschullehrerin verstanden, dass wir Eltern nicht allzu ehrgeizig sind und unser Kind mit „Leistung“ im engeren Sinne gar nichts am Hut hat. Dazu fehlt ihr und uns einfach der Ehrgeiz. Und so gab es einen anderen Fokus. Am Ende war das notenfreie Halbjahreszeugnis in Klasse 4 sehr, sehr gut, so dass alle zufrieden waren. Wie schön: Zufriedenheit.

Das also sind meine Erfahrungen mit Lerntentwicklungsgesprächen an Grundschulen. Der Text Birte Müllers auf SPON, auf den sich dieser Beitrag hier bezieht, hätte nicht nur deshalb, wenn ich ihr Resortleiter gewesen wäre, zu einem Mitarbeiterinentlassungsgespräch geführt.

Lernentwicklungsgespräche sind durchaus sinnvoll

In ihrem Beitrag „Warum Lern­ent­wicklungs­gespräche Mumpitz sind“ schildert die Redakteurin ihren Konflikt mit der Grundschullehrerin ihrer Tochter, erfasst den aber nicht richtig. Ihr Text richtet sich gegen Hamburger Schulen im allgemeinen, und dem individuellen Lernen im Besonderen.

Wenn ich diesen Mist lese, dann bestätigt sich meine These, dass das Hauptproblem an Schule die anderen Eltern sind. Denn da treffen ja alle aufeinander, die Querulanten, die Konservativen, die Ehrgeizigen, die Labertaschen, Öko-Tanten, die Überforderten, Desinteressierten, Besserwisserischen, Überbehütenden und der Rest vom Schützenfest.

Statt das Frau Müller in ihrem Text auf den ALLES-KÖNNER-VERSUCH eingeht oder auf den eigentlichen Sinn der Lernentwicklungsgespräche, setzt sie ihre kleine Erfahrung absolut und haut pauschal die ganze Sache ungespitzt in den Boden. Guter Journalismus sieht anders aus. Genau genommen ist der Artikel eine Ohrfeige für alle, die versuchen, die Schulen besser, humaner, bürgernäher und gerechter zu machen.

Wenn diese Mutter nun aber auf eine Grundschullehrerin trifft, die offenbar am Rande des Burnouts operiert oder nicht hinter dem Konzept des Schulversuchs oder des individuellen Lernens steht, hätte man auch über das Lehrersein an sich mal sprechen können. Werden doch nicht wenige wegen der absoluten Sicherheit und der vielen Ferien Lehrer. Aber nein, hier wird die Selbstaufgabe und Überforderung einer Mutter thematisiert, die ihre Verantwortung gerne an die Schule delegieren würde, wie es seinerzeit mal war. Schauderlich.

Der Titel „Warum Lern­ent­wicklungs­gespräche Mumpitz sind“ ist hier absolut irreführend und wird nicht beantwortet.

Ich hätte das selber ein paar Fragen

  • Ist es nicht hilfreich, wenn die Kinder möglichst früh eine realistische Selbsteinschätzung entwickeln. Braucht natürlich Zeit. Aber das ist das Selbstbild, dass Menschen von sich selber haben, nicht ein großen, grandioses und grundsätzliches Problem in unseren Gesellschaften?
  • Lernen bei einem Lern­ent­wicklungs­gespräch nicht alle gleichermaßen? Nicht nur das Kind über sich selbst, weil es Feedback bekommt – man könnte es auch Feedback-Gespräch nennen – sondern auch die LehrerInnen etwas über ihren Untericht, die Beziehung der Kindes zu seinen Eltern und so weiter? Lernen die Eltern in diesen Gesprächen nicht auch etwas über ihr Kind, die Schule und die Beziehung zur LehrerIn?
  • Und weshalb ist vom Vater hier nicht die Rede? Was sagt denn der Vater der Tochter von Frau Müller zu der Sache?

Birte Müller scheint eine jener gruseligen Mütter zu sein, die eigentlich mit gar nichts zufrieden sind, aber jedes Nachdenken, jede Initiative schlaff verweigern. Dabei gibt es heute sehr viele Möglichkeiten, sich einzubringen. Und wie gesagt, wenn es eine demotivierte Lehrerin das Problem ist – das gibt es – hat das nichts mit der Schule oder der Idee des individuellen Lernens, das ja hinter diesen Lerntentwicklungsgesprächen steckt, zu tun. Also, ehrlich.

Lese auf SPON: www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/lernentwicklungsgespraech-ein-neuer-name-fuer-den-elternsprechtag-a-1251009.html

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