War das der letzte schöne Sommertag in diesem Jahr? Wenn er das war, dann gehörte er Papa und seiner kleinen süßen Tochter. Na, und all den anderen Kindern mit ihren Müttern und Vätern, die sich auf diesem kleinen Stadtspielplatz eingefunden hatten. Und natürlich auch diesem Bengel und seiner Mutter, mit der ich mich anlegen musste.
Der Spielplatz hat eine recht hohe und breite Rutsche. Sie ist nicht zu steil und liegt auf einem kleinen Hügel. Man kann diesen Hügel über Autoreifen, die neben der silbern glätzenden Rütschfläche halb eingegraben wurden, hinaufklettern. Großer Andrang herrschte am Einstieg zur Rutsche ganz oben. Schmutzige, halbnackte Sommerkinder belebten den Hügel und tollten herum.
Unsere Rutsche wurde also von kleinen wilden Sommerkindern bespielt, berutscht, besungen und beschrien. Herrlich diese Bande, dieses sich selbst organisierende Chaos und der mächtige Spaß, den er abwirft. Doch irgendwas ist immer. An diesem Tag dieser Bengel, ein Störenfried und Spielplatztroll.
Er turnte mit seinen Turnies auf dem unteren Teil der Rutsche herum und versuchte die spiegelglatte Rutschfläche zu ersteigen. Das tat er natürlich während kleinere Kinder jauchzend herabzusausten. Er hatte das Ding ja nicht gepachtet und war auch nicht alleine auf der Welt und auf diesem Spielplatz. So ging das eine Weile. Wenn er nicht mitten durch das Schlamassen turnte und umherkrakselte, blockierte er mit seinen Quanten die Rutschbahn. Keine Ahnung, was das sollte. Ich stand unten und beobachtete meine kleine Maus da oben.
“Hey, was soll denn das? Was machst du da? Siehst du nicht, das die anderen Kinder sich verletzen könnten, wenn du keinen Platz machst?”
Ich schätzte das Jungchen auf sechs oder sieben und auch für dieses Alter war er ziemlich groß. Keine Ahnung, ob ihm das zu undiplomatisch war, was ich zu ihm sagte, jedenfalls hörte er nicht einfach auf und wollte den Platz nicht freimachen.
Das sah ich mir eine Weile lang an.
Vielleicht würde ihm ein mutiges Mädchen entgegentreten, die Horde Jungs da oben, seine Eltern könnten sich seiner annehmen oder der gelassene Papa da oben, der sein 2. Kind am Leibe wiegt, während sein 2-Jähriger hier mit den anderen spielte. Doch nichts geschah, niemand griff ein. Der Bengel behinderte weiterhin das ungezügelte Sommerspiel der staubigen Meute und gefährdetet mit seinen Füßen auf der Rutschfläche die anderen Kinder.
Der Junge hört nicht
“Hallo, hörst du nicht”, fragte ich ihn im Ton eine Nuance schärfer. “Das ist nicht gut, was du hier machst, die Kinder können nicht rutschen oder tun sich weh, weil du den Fuß hier hinhältst. Was soll denn das?”
Er fing plötzlich an von Schulkindern auf dem Schulhof zu reden, die auch keine Rücksicht nehmen würden oder so ähnlich. Ich verstand den Zusammenhang nicht und machte das deutlich. Ich dachte, gut, wenn er ein Schuljunge ist, dann versteht er auch, was ich von ihm will – dass er gefälligst Platz macht, da er nicht allein auf dieser Rutsche wäre. Das brachte aber gar nichts, seine Ohren schienen verstopft, er ignorierte mich und bekletterte weiter den unteren Teil der Rutsche, was die andern Kinder davon abhielt, weiter zu spielen.
Ich überlegte, was ich nun am Besten machen könnte. Aufgeben? Kommt nicht in Frage. Damit kann er nicht durchkommen, er lernt dann, dass er machen kann, was er will. Ihn am Ohr von der Rutschbahn ziehen? Das macht man heute nicht mehr, obwohl er dann schneller begreifen würde. Mir war klar, dass es jetzt darum geht, sich durchzusetzen. Ein Machtkampf? Es ist nicht gut, wenn eine Junge hier keinen Widerstand bekäme, keine Regeln, keine Orientierung. Also eskalierte ich – verbal – weiter.
In einem scharfen, vor-wütenden Ton sagte ich: “Hörst du nicht? Jetzt werde ich aber gleich sauer, wenn du die anderen hier gefährdest …”
Und da schob er ab, lief davon.
Der Streit mit der Mama des Bengels
Die Lage an der Rutsche normalisierte sich sofort, die Kinder, die der Szene kaum Beachtung schenkten, spielten, rutschen und tobten weiter. Ich war erleichtert, dass ich den Bengel dann doch beeindruckt hatte und sah, dass er zu seiner Mutter gelaufen war, die am anderen Ende des Spielplatzes saß. Ich signalisierte ihr, das sein Verhalten nicht in Ordnung gewesen sei, da ich davon ausging, dass er sich über mich beschwerte. Denn nicht ich wäre das Problem, sondern sein Verhalten.
Nach zehn Minuten kam seine Mutter mit ihm angestiefelt. Sie setzte sich demonstrativ trotzig quer auf die Rutschbahn oben, um die Kinder vom Rutschen abzuhalten und ihrem Söhnchen so zu ermöglichen, die Rutschbahn hochzuklettern. Wie bitte? Ihrem Zaubersohn, seiner kleinen Einzigartigkeit, dem Prinzen vom Blech, dem Chef im Haus, dem besten Jungen der Welt? Versucht sie ein Trauma zu verhindern, dass er durch meine Entschlossenheit davontragen könnte? Warum bedarf er dieser Sonderrechte? Ich muss dagestanden haben, wie ein Fragezeichen.
Ich erinnere mich nicht mehr an meinen Kommentar, aber iich kam mit dieser Mutten in Klintsch. Eine Diskussion hob an während ich immer noch unten an der Rutsche stand und sie trotzig oben auf den Berg saß und offenbar glaubte, ihren Sohn verteidigen zu müssen. Dabei stand für mich außer Frage, dass dieser sich nicht gut verhalten hatte, weil er nun mal nicht das einzige Kind auf dem Spieli war und er mir Scheiße erzählt hat mit dieser eigenaritgen Schulkindergeschichte. Die Mutter erwiderte, dass der Ton die Musik machen würde, ob ich davon schon gehört hätte. Bei ihrem Sohn würde das offenbar nichts nützen, meinte ich, dabei käme ich doch nicht mit Rosen und Eis zu ihm, um ihn gändigst zu bitten, andere Kinder nicht gefährdeten und an der Rutsche bittebittebitte Platz zu machen. Wo wird denn wären. Er solle sich auch von fremden Männern nichts sagen lassen, ich wäre ja wohl auch so einer, der zum Lachen in den Keller ginge; was denn als Nächstes folgen würde, ob ich auch so einer wäre, der Kinder schlüge. Was? Da wusste ich, dass es keinen Sinn hat mit diesem Muttertier. Ich könne jedenfalls nichts dafür, wenn ihr Sohn nicht funktionierte. Und da ich selber so ein Bengel gewesen sei, wüsste ich auch, wie man das mit solchen Jungs regelt …
Alleinerziehend gegen Kinderhauer
Ich nahm sie als alleinerziehend wahr, als eine Mutter mit einem grundsätzlich schlechtem Gewissen ihrem Sohn gegenüber. Als Frau sollte sie nun ganz allein aus ihm einen Mann machen. Das Söhnchen schien aber schwer steuerbar und hatte offenbar eine gewisse “Macht” über seine Mutter, so dass er nicht zum ersten Mal bei einer absurden Aktion und ähnlich unangemessen wie in der Szene mit dem Hinaufklettern der Rutsche, seinen Willen durchsetzte.
Und sie hatte mir gegenüber das Vorurteil, ich würde Kinder schlagen, nur weil ich mal strenger zu einem 6-Jährigen war. Und dass ich keinen Humor hätte und mit Kindern nicht umzugehen wüsste. Das war also das Ergebnis. Da hatten sich zwei gefunden, die offensichtlich völlig aneinandervorbei redeten.
Ich reagierte sauer und musste mich bei anderen erstmal ausschmipfen und beschweren. Wenige Minuten danach sah ich mich jedoch bestätigt: Ein kleiner Junge schrie schmerzhaft auf. Der Bengel von eben war daran beteiligt, er hatte weiter am Ende der Rutsche rumgeturnt und dieses andere Kind dabei verletzt. Da schob die Mama aber schnell ab mit dem. Es war genau das eingetreten, was ich versucht zu verhindern. Deshalb wurde ich so “deutlich”.
Der Ton macht die Musik
Das lässt mich natürlich zweifeln. Hätte der Bengel besser funktioniert, wenn ich ihn freundlichst besungen hätte, doch den Platz zu räumen, damit ER sich nicht weh tun würde? Ich glaube das zwar nicht, aber es lässt sich auch nicht mehr beweisen.
Etwas später saß wieder ein Junge unten quer auf der Rutschbahn und rührte sich nicht. Trotzig blieb er sitzen und blockierte den ganzen Rutschverkehr. Ich sah das sofort, entschied aber, diesmal gar nicht zu tun und abzuwarten. Seine Eltern – ich glaube er war mit seinem Opa und vielleicht einem Onkel da – kümmerten sich um das verquere “Migrantenkind” jedenfalls nicht weiter. Die hatten mit sich zu tun. Nur der Vater mit dem Baby um den Bauch, der reagierte nach einer gewissen Zeit und bemühte sich zu dem Trotzkopf herunter. Er beugte sich tief hinab zu ihm und ich konnte nicht hören, was er ihm sagte. Es sah jedoch nicht so autoritär aus, wie das, was ich dem kleinen Räuber vorhin erzählt hatte. Und das war es auch sicher nicht.
Nach etwa 3 Minuten bequemte sich das Jungchen dazu die Rutsche zu verlassen und seine Angehörigen aufzusuchen. Er war übrigens ca. zwei Jahre jünger als der Raudi zuvor.
Zwei Jungen, zwei Alter, zwei Methoden – zwei Mal erfolgreich. Die Rutsche wurde frei, niemand verletzt. Ich tat es vielleicht etwas zu rabiat und spielte meine Autorität als Mann und Vater (einer Tochter) aus. Der andere Kuschelpapi versucht es mit sanftem Überzeugungsspeech. Oder wie soll man sagen? Vielleicht hat jeder etwas zu lernen und wahrscheinlich hat jeder spezielle Qualitäten. Jede Situation ist anderes, jeder Mensch, jedes Kind auch.
Ich bleibe aber dabei, dass gerade Jungs, die schwer hören, Respekt vor Erwachsenen und Respekt vor anderen, kleineren Kindern lernen müssen. Notfalls mit ein wenig Schärfe hinter der Ansage. Natürlich auf keinen Fall mit körperlichen Ressentiments, das it klar. Aber mit einer natürlichen Autorität. Damit sollten sie klarkommen.
Oder?
Übrigens: Das Foto von Axel Vogt zeigt hier nicht unsere Rutsche, sondern soll nur ein Beispiel geben, wie eine Rutsche auf einem Hügel, die man über Autoreifen erklettern kann, aussieht. Unsere Rutsche ist nicht so schmal und nicht so lang, sie ist wie der Hügel auf unserem Spielplatz viel breiter.