Dieses Buch trifft nicht den Kopf zuerst, sondern das Herz. Und von dort aus alles andere. „Traut euch, träumt!“ erzählt von einem Lehrer, der Schule nicht als Sortieranlage, sondern als menschlichen Raum begreift. Als Ort, an dem Kinder Würde, Mut, Vertrauen und Selbstwert lernen – wenn man sie lässt. Für Eltern ist es eine Einladung, Schule wieder als gemeinschaftliche Aufgabe zu sehen und ihren Kindern innerlich beizustehen, während sie in einer Welt groß werden, die oft zu hastig, zu hart und zu digital ist.
Vorab möchte ich bemerken, dass ich in unserem Fall, also im Fall meiner Tochter, die Schule nicht in der Lage war, ihre Stärken herauszubilden und ein lernfreudiges, selbstbewussten Mädchen in die Arbeitswelt zu entlassen. Es wurden zu viele Beziehungen gestört und zerstört, der Abschluss war am Ende wichtiger, als alles, alles andere. So sieht es für mich aus. Meine Tochter hatte Pech mit der Schule. Wir hatten sie zu früh eingeschult, Corona war eine harte Zeit, es gab schwerwiegende psychischer Störungen bei einigen Klassenfreundinnen und sie war in einer klugen, ehrgeizigen Klasse, in der sie nicht wirklich mithalten konnte. Sehr traurig, aber nicht ungewöhnlich. Was macht diese Gesellschaft nur aus diesen jungen Menschen?!
Schule beginnt mit Menschlichkeit – oder sie beginnt gar nicht
Schon in den ersten Kapiteln zeigt Bachmann, wie brutal Schule sein kann. Auf dem ersten Schultag der neuen 7c erleben seine Schülerinnen die Härte eines Systems, das sie – ohne jede Rücksicht – auf „Hauptschule“ sortiert und ihnen damit ein Lebensgefühl mitgibt: Ihr seid Restware. Genau diese Szene (Seiten 15–18) markiert den Schmerzpunkt des Buches. Bachmann beschreibt nicht nur die Tränen, sondern die Verzweiflung dahinter: das Gefühl, in einem System keinen Platz zu haben.
Und dann tut er, was ein guter Lehrer tut: Er geht zu ihnen. Ins Gebüsch. Auf Augenhöhe. Nicht, um zu vertrösten, sondern um klarzumachen: Ihr seid wertvoll. Ihr seid nicht das Etikett, das man euch gerade angeklebt hat. Ihr seid Menschen mit Fähigkeiten, Herz, Mut und Zukunft.
Diese Haltung ist der Kern des Buches. Sie unterscheidet zwischen Schule als System und Schule als menschliche Begegnung. Mich macht das tatsächlich etwas traurig, weil ich zu oft gesehen und erfahren habe, dass dies eben nicht der Fall war. Wertvoll. Wertvoll nur, wenn und leistest …
Lernen braucht Beziehung – und die beginnt bei echten Erwachsenen
Bachmanns Art zu unterrichten ist konfliktscheu? Keineswegs. Er geht Konflikten nicht aus dem Weg, sondern nimmt sie ernst. Seine ehemalige Referendarin beschreibt, wie er mit jedem Kind in Beziehung geht, präsent bleibt, Grenzen setzt, Humor zeigt und ganz im Moment ist (Seiten 246–247).
Es gibt keine pädagogische Maske. Nur einen Menschen, der sich traut, ein Mensch zu sein.
Kinder folgen keiner Methode – sie folgen Menschen. Der Lehrer, der sie sieht, sie stärkt, sie fordert, ihnen zutraut, neue Räume zu betreten: Genau das ist Bachmann. Und das leuchtet in jeder Anekdote des Buches.
Lernlust entsteht, wenn Neugier wieder Raum bekommt
Bachmann erzählt von Lernwegen, die selten linear sind. Von Kindern, die beim Jonglieren verzweifeln, bis ein Ritual entsteht: „Zeit zum Katze-Streicheln“ (Seiten 133–135). Das ist mehr als ein Witz. Es ist eine Haltung: Lernprozesse dauern. Fehler gehören dazu. Frust ist normal. Und Entspannung ist kein Rückzug, sondern ein Schritt nach vorne.
Die berühmte Streuobstwiese (Seiten 188–190) zeigt, wie Lernen wirklich funktioniert. Dort – zwischen Bäumen, Vogelrufen und Wind – blühen Kinder auf. Ein schüchternes Mädchen klettert hoch in die Krone eines Baumes und ruft den „Zauberlehrling“ hinunter. Lernen wird Körper, Stimme, Mut, Freude. Nicht Arbeitsblatt.
Diese Szenen zeigen, was Schule sein könnte: ein Ort der Welt- und Selbstentdeckung. Ein Raum, in dem Kinder erfahren, dass Lernen nicht Kontrolle bedeutet, sondern Selbstvertrauen.
Schule darf Kinder nicht kleinmachen – sie muss sie groß machen
Auf Seite 126 schreibt Bachmann, dass Schule Kinder „groß machen“ muss, ihnen Selbstwert geben und ihnen vermitteln soll: Du bist richtig, so wie du bist. Genau dort beginnt Bildung. Nicht bei der Leistung, nicht in Tabellen, nicht in Rankings, sondern im Gefühl, sicher zu sein.
Gute Noten können helfen – aber sie sind nicht Wahrheit. Das macht Bachmann deutlich, wenn er seinen Schülern die Zeugnisse überreicht und sagt: „Diese Noten zeigen überhaupt nichts von euch!“ (Seiten 217–219).
Dieser Satz gehört in jedes Lehrerzimmer und jedes Elternhaus. Kinder sind keine Momentaufnahmen. Sie sind Entwicklung.
Smartphones, Straßenkindheit und der Verlust des Draußen
Bachmann beschreibt eindrücklich die Kindheit seiner eigenen Generation: die Straße als dritter Sozialraum (Seiten 27–30). Heute ist dieser Raum verschwunden – verdrängt vom Digitalen.
Er verdammt Smartphones nicht, aber er zeigt, was dadurch verloren geht: Selbstwirksamkeit, Abenteuer, freies Spiel, körperliche Präsenz, Gemeinschaft.
Für Eltern ist das ein Signal, nicht in Kulturpessimismus abzurutschen, sondern neue Räume zu schaffen – drinnen, draußen, im Alltag, in Gesprächen – damit Kinder wieder echte Erfahrungen machen können.
Was dieses Buch für uns Eltern bedeutet
Wir leben in einer Zeit der Optimierung: früh fördern, Leistung tracken, Konsequenzen drohen sehen. Bachmann bietet einen Gegenentwurf: Vertrauen. Humor. Gelassenheit. Nähe.
Er zeigt eine Welt, in der Kinder Fehler machen dürfen, weil Fehler Wachstum sind. In der Lehrer Wegbegleiter sind, keine Prüfer. In der Schule Persönlichkeitsentwicklung bedeutet, nicht Selektion. In der Kinder Mut schöpfen, nicht Angst verwalten.
Traut euch, träumt!: Lektionen eines Lehrers, den man gerne gehabt hätte
Autor: Dieter Bachmann
Verlag: Ullstein extra
Seitenzahl: 224 Seiten
ISBN: 978-3-86493-233-5
Preis: 18,99 € (D) / 19,60 € (A) / 21,90 CHF (CH)
Erscheinungsdatum: 30. März 2023
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„Traut euch“ – das ist nicht nur an Kinder gerichtet.
Es ist an uns Eltern gerichtet.
Traut euch, euren Kindern etwas zuzutrauen.
Traut euch, sie zu schützen vor einem System, das zu früh sortiert.
Traut euch, ihnen Räume zu öffnen, in denen sie sich selbst begegnen können.
Das Buch macht Mut, an das Gute im Menschen zu glauben – auch in der Schule. Das ist das besondere. Und daran, dass Kinder wachsen, wenn man ihnen vertraut und zutraut, den eigenen Weg zu finden und zu gehen.



