Es ist nicht leicht erwachsen zu werden. Vor allem, weil man es ja immer mit anderen zu tun hat, die einen natürlich verletzen (können). Das gehört ja auch leider zum Leben dazu, damit gilt es fertig zu werden. Gerade gab es einen Vorfall zwischen einer meiner Tochter und einer ihrer neuen Freundinnen. Beide sind 10 Jahre alt, also Kinder Vorpubertät.
Ungefähr drei Wochen waren beide, die Ende des Sommers zusammen in die 5. Klasse gekommen sind ganz dick, die besten Freundinnen, lachten, sabbelten, spielten und verabredeten sich, das es die reinste Freude war, die beiden zu sehen. Fand auch die Mama von der Freundin. Sie verstanden sich blendet, alles war super. Auch ich selbst fand die neue Freundin meiner Tochter richtig toll. Es freute uns Eltern für unsere Töchter und wir unterstützen die beiden, wo immer es ging und passte. Es war die erste richtig dicke Freundin im Leben meiner Tochter. So sah es jedenfalls aus. Und nun das!
Aus heiterem Himmel und ohne erkennbaren Grund, wollte ihre Freundin sich nicht mehr mit meiner Tochter treffen: „Ich möchte mich nicht mit dir verabreden“, schrieb sie auf WhatsApp und es war wie ein Schlag ins Gesicht. Ich erhielt die Nachricht, da meine Kleine gerade bei ihrer Mama war. Ich war erschrocken. Und erschüttert. Was ist geschehen? Ist irgendwas vorgefallen? Gab es irgendeinen Konflikt zwischen Mädchen? Nein, den gab es nicht.
Das Verhalten wird von der Sitzordnung in der Klasse mitbestimmt
Mehr oder weniger zufällig fand ich heraus, dass die drei Mädchen in der Klasse nebeneinander sitzen. Das ausgrenzende Mädchen sitzt zwischen meiner Tochter und einem weiteren Mädchen, der sie sich nun intensiv zugewandt hat. Alle Mädchen sind übrigens 10 Jahre alt und damit in der ersten Phase der Vorpubertät, wie es bei GEO Online heißt. Vorpubertät bedeutet: Das Schwierigste liegt noch vor uns, nämlich in der folgenden Pubertät. Die Mädchen sind aber schon in der Findungsphase und probieren sich aus – insbesondere Freundschaften.
Als ich also die Mädchen da so sitzen sah, war mir die Sache klarer. Die Ausgrenzerin erzählte meiner Tochter noch, warum sie sich nicht mit ihr verabreden wollte: Weil es nämlich zu Dritte viel anstrengender, ungerechter und nicht so schöne wäre, wie wenn man zu Zwei spielen würde. Woher sie das nur hat? Das denkt sie sich doch nicht selber aus, vermute ich. Jedenfalls zieht dieses Mädchen die Sache ohne Rücksicht auf Verluste durch.
Diese Szene, dass meine Kleine scheinbar ausgegrenzt war, tat mir in der Seele weh. Es berührte Trigger. Ich war damals von meiner „wahren“ Familie durch meine richtiger Familie, durch meine Mutter, entfernt worden. Sie wurden gegen meinen Willen ausgegrenzt. So fühlte es sich subjektiv an. Und ich stelle durch diese Geschichte zwischen den Mädchen fest, dass ich immer versucht habe, alle mitzunehmen, niemanden auszugrenzen. Meine Tochter kennt so etwas auch nicht. Während beispielsweise manche Kinder nur eine begrenzte Anzahl Freunde zu ihrem Geburtstag einladen durften – aus Platzgründen in der Regel – habe ich das immer andere gehalten. Ich will, dass meine Tochter ALLE Kinder einladen kann, die sie einladen will. Und ich möchte nicht, dass sich ein Kind ausgegrenzt fühlt, weil es im Gegensatz zu den anderen Freundinnen nicht zum Geburtstag eingeladen ist. Das gab es bei uns nicht.
Meine Tochter hat denn auch eine hohe soziale Kompetenz, viel Einfühlungsvermögen und eine schüchterne emotionale Kompetenz. Gleichzeitig nehme ich an ihr in dieser Sache eine große Stabilität und Ausgeglichenheit, eine tolle Resilienz wahr. Das ist die andere Seite.
Vorpubertät oder Charakter?
Kinder können gemein sein. Schon ganz kleine Kinder. Das wissen alle Eltern. Das bedeutet, sie sind in der Lage andere zu verletzen oder zu quälen, ob Feind, ob Freund, ob Tier, ob Fliege. Aber jetzt sind sie schon ziemlich groß und erste echte Freundschaften entstehen. Vielleicht wusste die Freundin meiner Tochter es nicht besser, weil man ihr eingeredet hat, dass es besser ist zu Zweit, als zu Dritt miteinander zu spielen. Vielleicht ist es die Vorpubertät. Vielleicht ist es eine Charakterfrage und das Mädchen kann sich nicht so gut einfühlen in andere? Vielleicht weiß sie es nicht besser, kann noch nicht verstehen, wie es ist, Menschen, Freunde, Lebewesen zu verlieren – und dass, wenn man andere verletzt, sich auch selber verletzt. Was mag es wohl die Ursache für ihr Verhalten sein? Es bleibt unklar.
Bemerkenswert ist eher die Reaktion von uns Eltern und die von unserem Kind. Für unsere Tochter ist gar nichts los. So ist es eben, manchmal hat man mehr mit der einen, dann wieder mehr mit der anderen zu tun. Man ist man Freunde. Sie findet das alles nicht so schlimm. Aber ihr Vater, also ich, der ist alarmiert, der ist getriggert, der macht sich Sorgen, wie auch die Mutter, dass die Tochter verletzt wurde oder wird. Oder noch schlimmer, dass es eine Art von Mobbing ist. Mobbing ist immer auch Ausgrenzung.
An der Schule – allerdings in der Grundschule – wurde die Tochter einer meiner Freundinnen gemobbt und die Eltern hatten zu spät reagiert. Sie dachten auch erst, dass Kind braucht die Erfahrungen, muss sich behaupten, durchbeißen, es aushalten, daran lernen und wachsen. Bis es zu spät war und das Kind durch das Mobbing traumatisiert wurde. Ich werde so etwas schon im Ansatz zu verhindern wissen und habe gleich eine ganze Reihe von Maßnahmen parat, die zeigen sollen, ich werde nicht untätig zusehen, wie meine Tochter ausgegrenzt wird und sehr genau auf ihre Reaktionen achten, die natürlich maßgeblich sind.
Aber unsere Tochter leidet nicht, also besteht auch kein Handlungsbedarf. Wir haben mehrfach, allein und zusammen als Eltern mit ihr darüber gesprochen. Ist alles Ok. Gut. Also tauschen nur wir Eltern uns aus. Ich habe die Mutter der ausgrenzenden Freundin schon angefunkt und ihr meine Sorgen geschildert. Sie will mit ihrer Tochter reden und findet wie ich, dass die beiden Mädchen eine besonderes tolle Freundschaft miteinander hatten. Und es wäre sehr schade und äußert verwunderlich, wenn die nach drei Wochen schon Geschichte wäre.