DIE ZEIT … Rettet die Kindheit!

DIE ZEIT titelt. Rettet die Kindheit. Hier ein Flickr-Kinderbild aus Südamerika.

Rettet die Kindheit titelt DIE ZEIT in ihrer aktuellen Ausgabe. Äußerst lesenswert. Rettenswert. Die Kindheit. Es scheint ein wichtiges Thema für mich zu sein, weil ich immer wieder darauf komme. Und weil ich mich immer wieder an der Engstirnigkeit mancher Zeitgenossinnen stoße, an Regeln reibe, die für Kinder gemacht keinen rechten Sinn ergeben wollen und ich mich bemühe, meien kleine so natürlich wie möglich aufwachsen zu lassen.

Es passt zu dem Thema, das ich hier schon vorgestellt hatte: Lob an die Jugend – Als Kinder noch keine Helme trugen. Und es gibt noch ein Buch, das ich demnächst an dieser Stelle besprechen will.

Die beiden Bücher, die sich mit der Rettung der Kindheit beschäftigen heißen: Die verkaufte Kindheit: Wie Kinderwünsche vermarktet werden und was Eltern dagegen tun können von Susanne Gaschke, die als Redakteurin darüber in DIE ZEIT schreibt und Die Dinge: Expeditionen zu den Gegenständen des täglichen Lebens von Donata Elschenbroich, die der ZEIT ein lesenswertes Interview zu Spielsachen und „den Dingen“ gibt.

Worum es geht, sagt der Teaser aus DIE ZEIT:
Keine Pläne, keine Termine und keiner, der einem sagt, wie man sein soll: So stellen wir uns die ideale Kindheit vor. Doch die Wirklichkeit sieht längst anders aus, und wir alle tragen Schuld daran. Wir haben die Konsumwelten ins Kinderzimmer gelassen und den Markenwahn in die Köpfe. Höchste Zeit, die Kindheit zu retten.

Kürzlich sah ich der Sauna einen Typ, der etwas an den Modesigner Harald Glööckler erinnerte. Der Mann trug im Gegensatz zu diesem durchgeknallten Menschen, ein ADIDAS-Logo als Tattoo im unteren Nackenbereich und das Signet noch einmal am Hals. Wenn es so weit ist, dann weißt du, dass du die falschen Werte vermittelt hast. Wir müssen aufpassen. Denn … Konsum ist schlecht. Markenbewußtsein ebenfalls. Das ist so sinnlos und hat mit Würde und Dasein und Menschlichkeit, mit Kindheit, Beziehung, Tiefe und Freundschaft, mit all dem, was das Leben auszeichnet und reicher macht, so richtig gar nichts zu tun.

Nein, es sind zu weitläufige und vielschichtige Themen, als das ich sie an dieser Stelle hier behandeln könnte. Mir fällt nur immer wieder auf, wie „unnatürlich“ man mit der Sache mit den Kindern umgeht. Das geht damit los, dass viele dir eindringlich versichern, dass sich das ganze Leben mit einem Kind ändern würde und nichts mehr so sei wie vorher; reicht über den vollgestopften Terminkalender von Kinderturnen über den Spanischkurs für Dreijährige und dem spielerischen Musikunterricht als Frühförderung; und reicht bis zum Handy, der Playstation, dem Markenbewusstsein, dem Studierenmüssen, der vollständigen Verstädterung (Beton im Sinne einer Unsensibilität) der Psyche und der traurigen Entwicklung zu einem stets passiven Konsumenten.

Sorry, ich seh das so eng. Und ich glaube auch, dass dem Vater an diesen ganzen Nahtstellen eine Schlüsselrolle zu kommt. An ihm könnte das Kind ERFAHREN, dass eine gute und tiefe, eine Beziehung, die diesen Namen verdient, trägt und wertvoll ist. Und nicht das, was einem andere – bestimmte Spielzeuge, die auch Erwachsene haben – und die Werbung, die Massenmedien vorgaukeln.

Also lassen wir Susanne Gaschke aus der ZEIT noch einmal zu Wort kommen, sie hat als Redakteurin einer solch großen Wochenzeitung auch mehr Autorität, als ich – und verweisen auf diese beiden wichtigen Bücher.

Kulturwissenschaftler sehen aber im unstrukturierten Kinderspiel die Vorstufe zu den späteren kulturellen Leistungen Erwachsener: Springen und Herumtoben werden zu Tanz und Sport, aus dem Spiel mit Bauklötzen erwachsen Kunst und Architektur, Rollenspiele sind Vorgänger von Literatur und Theater. Werden Kinder, denen die “mittlere Kindheit” gekappt wird, noch die Problemlösungskompetenz und Kreativität entwickeln können, die eine moderne, hochkomplexe Gesellschaft von ihren Bürgern, Arbeitnehmern, Unternehmern, Künstlern, Forschern und Politikern erhoffen muss? Wir sind mitten in einem Langzeitversuch, dessen Ergebnis wir erst in Jahrzehnten kennen werden.

Immer dreister greifen Konsumindustrie und Werbung nach unseren Kindern. Vom Kleinkind bis zum Teenager werden sie zu Kunden gemacht – und dadurch ihrer Kindheit beraubt. Susanne Gaschke warnt in ihrem neuen Buch vor diesem Ausverkauf. Sie ermutigt Eltern, ihre Erziehungsverantwortung ernst zu nehmen und zeigt Strategien für die Rückeroberung der Kindheit. Und die Kindheit wird immer kürzer. Schon eine Siebenjährige geniert sich heute mit einer Puppe im Arm gesehen zu werden. Stattdessen nutzen Jungen und Mädchen schon sehr früh die Medien der erwachsenen Kommunikationsgesellschaft. Unmittelbar nach der Grundschule treten sie in eine Phase altersloser Jugendlichkeit ein. Für die Werbeindustrie sind die »Kids«, wie sie ganz bewusst genannt werden, die idealen Kunden: Sie sind spontane, ungehemmte Konsumenten und leicht manipulierbar. Eltern sind zunehmend verunsichert, wollen in dieser bunten Spaßwelt nicht als alt und autoritär gelten oder als Spielverderber dastehen. Wie also reagieren, wenn sich der Junior das iPhone zu Nikolaus wünscht oder zum 13. Geburtstag der Tochter das Louis Vuitton-Täschchen her muss?

In den Dingen, den Alltagsgegenständen, steckt das Wissen der Welt. Die Kinder arbeiten sich in die Welt ein, indem sie dieses Wissen von Ding zu Ding erschließen. Donata Elschenbroich beobachtet sie dabei. Bei ihrem beharrlichen Erkenntnisinteresse und ihrer fantastischen Fähigkeit, ein Mehr in den Dingen zu entdecken. Die Gegenstände des täglichen Lebens sind spannender als viele Spielzeuge. Sie erweitern unsere Möglich­keiten, sind uns unerlässlich, kostbar oder auch lästig, vertraut und fremd zugleich. Was liegt näher, als sie, gemeinsam mit den Kindern, einmal genauer zu befragen wie funktioniert die Pipette, die Wäscheklammer, die Wasserwaage? Was wäre, wenn wir das nicht hätten? , um gemeinsam mehr zu erfahren über die Kräfte in den Dingen, über die Welt. Ein faszinierendes Bildungsprojekt ist daraus erwachsen: Alltagsgegenstände Werkzeuge, Instrumente, Fundstücke, zusammengetragen von Erziehern und Eltern werden in Kindergärten und Grundschulen ausgestellt. Die »Weltwissen-Vitrinen«, Wunderkammern des Alltags, laden Eltern und Kinder ein, sich aus dieser öffentlichen »Bibliothek der Dinge« Gegenstände auszuleihen und zuhause gemeinsam zu erkunden. Doch auch jedes Elternhaus kann eine Wunderkammer sein, die Eltern als erste und wichtigste Bildungsbegleiter können sie ihren Kindern öffnen: in der Küche, im Keller, auf Reisen … Ganz »dinglich« und sinnlich erkundet Donata Elschenbroich den Alltag als Bildungsort, das informelle Lernen mit- und voneinander in der Wirklichkeit, von den Dingen selbst.

Foto: Bestimmte Rechte vorbehalten von Marcus Correa

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2 Kommentare

  1. Werte müssen immer wieder neu ausgehandelt werden, und da läuft einiges schief gerade. Positive Attribute werden professionell von der Werbebranche belegt, da bleibt kaum noch etwas übrig – ausser, Werte durch Handeln zu vermitteln. Mehr können wir nicht tun, aber genau genommen ist das auch schon recht viel.

  2. Für dieses Thema interessiere ich mich auch sehr gerade. Ich habe neulich einen Artikel über das freie Spielen gelesen, der behauptet, dass der Alltag von Kindern heute so durchgeplant wird, dass sie gar keine Zeit mehr zum wirklich freien Spielen haben.

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