Da war ich dabei. Bei ihrer Buchvorstellung in Hamburg, als Stevie Schmiedel in der Thalia-Buchhandlung in der Europa Passage an der Alster aus ihrem neuen Buch »Allem Zauber wohnt ein radikaler Anfang inne.« las und mit den Zuschauer*schluck*innen diskutierte.
„Fundiert, verständlich und mit einer ordentlichen Portion Humor“, so schreibt ihr Verlag (KÖSEL), „holt sie die Generationen an einen Tisch und zeigt, wie ein moderner Feminismus aussieht, in dem man Fragen stellen darf und der Debatte zulassen kann. Ganz getreu dem Motto: »Allem Zauber wohnt ein radikaler Anfang inne.«
Die Genderstudies sind ein Minenfeld: Eine ›woke‹ Jugend cancelt, was nicht bunt genug ist, während ein Großteil der feministischen Fortysomethings fragt, was die Streite um Privilegien, Gendersternchen oder Pronomen-Salat überhaupt sollen. Ist das Problem im heutigen Feminismus in Wahrheit ein Generationenkonflikt? Dabei könnte es doch so einfach sein: Raus aus dem »ich weiß alles besser« – und zwar auf beiden Seiten! Sagt jedenfalls Stevie Schmiedel, das Gesicht der deutschen Genderforschung und Gründerin von Pinkstinks.
Ich habe zwei Dinge gelernt, bei der Lesung von Stevie Schmiedel. Na, eigentlich waren es mehr. Dazu komme ich noch. Aber zwei Dinge, die Wesentlich sind: 1. Gendern schriftlich oder mündlich ist Geschmackssache und sollte kein Zwang sein. 2. Es geht eben nicht um männlich/weiblich (oder divers), nicht um Mann versus Frau. Es geht um Menschen mit Testikeln und Menschen mit Uterus.
Das kam, aufgrund eines Einwurfs von mir und das konnte ich verstehen. Da war ich wieder im Boot. Ich bekam nämlich den Eindruck, die offensichtlichen Unterschiede zwischen einem männlichen und einem weiblichen Körper – auch die psychologischen Unterschiede hier und dort – würden glatt gezogen. Wo doch die Medizin gerade erst entdeckt, dass sie sich primär um den männlichen Körper gekümmert hat, der weibliche Körper aber eine ganz andere Medizin benötigt. Frauen haben weniger Muskelmasse als Männer, ein kleineres Gehirn, ein breiteres Becken u. ä. Daraufhin erklärte mir bzw. dem Publikum, dass man hier eher von „Menschen mit Testikeln und Menschen mit Uterus“ spricht.
Logisch. Die Eigenschaften, die wir Frauen und/oder Männern zuschreiben sind kulturell bedingt, soziologische und damit veränderbar und relativ willkürlich. Die Biologie gibt das so nicht her. Eine Frau kann genauso durchsetzungsfähig sein, wie ein Mann und ein Mann genauso hingebungsvoll wie eine Frau. Das kann es also nicht sein. Alles, was Männer können, können Frauen auch und umgekehrt. im Rahmen der biologischen Grenzen und Gegebenheiten. Das wurde zumindest mir, sehr deutlich. Und nun benutze ich diese Begriffe mit den Testikeln und dem Uterus. Das passt.
Stevie Schmiedel macht, wonach ich mich immer gesehnt habe: Sie baut Brücken über sich jäh erweiternde Abgründe. Denn nur so kommen wir voran.
Mithu Sanyal
Und der Genderwahn tut uns gut?
Ich glaube das nicht. Stevie Schmiedel glaubt das. Während sie die Gendersternchen in einem Text überhaupt nicht mag, mag dich das Buchstabenverschlucken, die künstliche Pause in Gäst_innen so richtig gar nicht. Da kriege ich innerlich Pickel, da sträuben sich mir die Nackenhaare, da bekomme ich Fußpilz, da hab ich Allergie. Es klingt einfach so Scheiße, so unnatürlich, so arrogant und klugscheißerisch, so von oben herab. Ab Stevie hat damit nun gar kein Problem, nur beim Schreiben, dass man ja nicht hört, sondern sieht, kriegt sie ne Sperre. Sehr interessant.
Ich lernte außerdem noch, dass sich zumindest bei diesem Thema eine gewisse Anzahl Männer einfanden (außer ich in Begleitung ihrer Frauen/Freundinnen). Und dass es die Plattform „Pinkstinks“ gibt, die Stevie mit gegründet hat, und dass die keine kleine Rolle in der feministischen Bewegung und Deutschland spielt und gespielt hat. Na, bitte schön.
Ich lernte weiter, dass es gut ist, mit einander zu reden und zu diskutieren. Dass man auch VersteiderInnen des Genders nicht verhärmt, verbrämt und verhärtet sein müssen, sondern humorvoll, gemäßigt und vernünftig. Klar, eigentlich. Aber das geht manchmal unter in den hitzigen Debatten zum Thema oder bei den radikalen Jugendlichen, die keine Verwandten kennen.
Ich habe zwar nicht gelernt, dass der alte weiße Mann genauso wertvoll ist, wie die junge lesbische Migrantin. Aber ich bin mir sicher, dass Stevie Schmiedel das mit mir teilt und dass ihr Buch „Jedem Zauber wohnt ein radikaler Anfang inne“, das ich nicht gelesen habe und auch nicht lesen werde, weil ich wirklich wirklich keine Zeit dafür habe, sich für diejenigen, die das Thema erreicht, lohnt.
Es braucht gute Argumente und großen Mut, eine Haltung zu vertreten, mit der man sich zwischen alle Fronten begibt. Stevie Schmiedel hat von beidem genug.
Julia Karnick
Tja.
Jedem Zauber wohnt ein radikaler Anfang inne – Warum uns ein bisschen Genderwahn guttut
von Stevie Schmiedel
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256 Seiten, Kösel-Verlag (26. April 2023)
ISBN 3466373026
Gebundene Ausgabe 22,- Euro