Das Stichwort heißt „Premium-Kids“. Da man Helikopter-Eltern zuweilen nur schwer zu erkennen vermag, sollte man darauf achten, wie sie über ihre Kinder reden. Und ich kann euch sagen: Ich bin umzingelt von Eltern sonderbegabter Kinder, extrem sensible Seelchen und Mathegenies, dass einem um die Menschheit nicht weiter bange sein muss. Diese Kids werden uns raushauen. Zeit, sich das mal genauer anzuschauen.
Das Buch Verschieben Sie die Deutscharbeit – mein Sohn hat Geburtstag! kommt von der Aufmachung und den Zeichnung her locker und leicht rüber. Eine Spaßlecktüre. Aber ich bin so gestrickt, dass mir das Lachen bei diesem Thema im Halse stecken bleibt. Ich finde diese Sache ganz und gar nicht wichtig und die Helikopter-Eltern gehen mir höllisch auf den Geist. Nicht nur, dass sie die schlausten Kinder haben, sie projizieren fleißig ihre Ängste und Sehnsüchte auf die Kinder, dass es eine Freude ist. Aber das sind nur meine Vorabgedanken, ohne eine Blick ins Buch geworfen zu haben.
„Wir sprechen hier von den sogenannten Helikopter-Eltern, die jederzeit wie Hubschrauber über ihren Kindern kreisen, alles überwachen, was diese tun, und bei jeder Kleinigkeit landen, um zu helfen. Manche sprechen auch von Schneepflug-Eltern, die ihren Kindern jedes Hindernis aus dem Weg räumen. Und von den ebenfalls häufig so genannten Curling-Eltern, die den Boden vor den Füßen ihrer Kinder so glatt schrubben, dass diese ohne Anstrengung durchs Leben gleiten können. Sie sind diesen überängstlichen, kontrollierenden und sich in alles einmischenden Leuten garantiert schon begegnet – im Supermarkt, im Kindergarten, in der Schule, beim Ballettunterricht, im Bus – oder vor dem Spiegel. Man fragt sich angesichts dieser Überbehütung manchmal, wie die Menschheit bislang hat überleben können – die meiste Zeit ganz ohne Helikopter-Eltern.“
Das frage ich mich auch. Habe ich letztens auch dem scheidenen Direktor unserer Grundschule gefragt: „Wie sind wir eigentlich groß geworden?“. Ohne Fahrradhelm, Biogemüse, Smartphone, Ganztagsschule und Ankommzeit? Das weiß niemand. Und wie Lehrer die heutigen Eltern überleben sollen, auch nicht. Die Lehrer haben es am Schwierigsten mit diesen seltsamen Eltern, die heute Schulen, Kitas und Plätze besetzen. Hat mir doch damals die Gewerkschafterin erklärt: „Ja, und mit der Schule habe ich auch noch einen Rechtstreit.“ Es ist leider nicht so, dass Eltern durch ein Kind gesunden. Im Gegenteil, bei manchen scheint der Haschmich erst so richtig schön zu erblühen durch einen Sohn oder eine Tochter.
Steht auch so im Buch: „Auch in Bayern sind so viele Eltern klagewütig, dass die Rechtsabteilng mittlerweile die größte Abteilung des Bayrischen Lehrerverbands ist.“ Mein lieber Herr Gesangsverein.
Übermotivierten Eltern: Spleenig, grotesk — und leider wahr.
„So können Eltern die Lehrer ihrer Kinder in den Wahnsinn treiben mit ihren dreisten Forderungen, absurden Wünschen und aberwitzigen Anliegen, die nicht nur unrealistisch sind, sondern auch nicht im Interesse des Kindes sein können – jedenfalls, wenn man möchte, dass es sich zu einem eigenständigen Erwachsenen entwickelt. Auch Erzieher, Fußballtrainer, Kinderärzte oder Studienberater finden an ihrem Beruf häufig am anstrengendsten: die Eltern. Sie alle erzählen in diesem Buch von ihren schlimmsten Erlebnissen.“
Da ich beim Lesen immer wieder Eltern vor Augen habe, die ich nicht vor Augen haben will, muss ich die Lektüre immer wieder unterbrechen. Mal länger, mal kürzer. Aber das unterstützt die Buchgestaltung. Es ist kleinteilig und sehr gut strukturiert aufgebaut. Ich kann immer wieder reinblätter und mir eine absurde Episode Elternschwachsinn reinziehen.
Wobei ich das Helikoptertum bei Vätern kaum beobachte – es sind meisten die Mütter, die Stress machen. Väter mögen hochtrabene Pläne haben, ihren Ehrgeiz in den Nachwuchs impfen und die Umgebung nach dem Trump-Motto behandeln: „Mein Kind first“. So heißt der „Paragraph 1“ in Verschieben Sie die Deutscharbeit – mein Sohn hat Geburtstag!
Kürzlich beobachtete ich eine Mutter, die solange gespannt und unbewegt auf dem Bürgersteig ihrem Sohn hinterher sah, als der sich gemächlich der Tür seines Gymasiums näherte. Erst als er darin verschwand, wurde es dieser Mutter leichter. Ich kenne Eltern, die ihre Kinder schon im Vorschulalter zum Yoga schicken. Und es ist fürchterlich. Aber im dem Taschenbuch geht es um ganze andere „Fälle“.
Natürlich, wir Eltern wollen alle „die besten Eltern der Welt sein“ und glauben auch daran, es zu sein. Ich selber glaube, ein guter Vater zu sein. Und ich glaube auch, eine wunderbare Tochter zu haben. Aber ich behandle sie nicht wie ein rohes Ei, ich weiß, dass ich Fehler mache, und finde, sie ist das normalste Mädchen der Welt und das ist gut so. Ich will diesen ganzen Zirkus nicht, wie er in den vielen kleinen Absätzen des Buches beschrieben steht. Mit diesen ganzen Buzz- und Bullshot-Words, die das Büchlein mit Leben füllen: Kiss-and-Go-Zonen, SUV-Helikopter-Elter, Glucken-Mütter, Latte-Machiato-Mütter, Elternratsväter, deren Kinder nicht laufen lernen sollen, „sondern chinesisch“.
Nein, es ist mit ein wenig Distanz ein sehr unterhaltsames Buch gelungen, das unter Umständen nicht diejenigen lesen, denen es helfen könnte. Aber es will gar nicht helfen. Glaube ich, jedenfalls. Es will dokumentieren. Und es ist ein Dokument einer postmodernen Eltern-Neurose, die wie eine Epidemie ganze Bevölkerungssichten befallen hat und gegen die es kein Heilmittel zu geben scheint. Doch, eins gibt es: Das Lachen. Und dazu hat Verschieben Sie die Deutscharbeit – mein Sohn hat Geburtstag!: Von Helikopter-Eltern und Premium-Kids einen nicht zu unterschätzenden Teil beizutragen. Vielen Dank!
Buch kaufen bei AMAZON: Verschieben Sie die Deutscharbeit – mein Sohn hat Geburtstag!: Von Helikopter-Eltern und Premium-Kids
von Lena Greiner und Carola Padtberg-Kruse
224 Seiten, Ullstein Taschenbuchverlag, Oktober 2017
TB 9,99 EUR