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Schon seit Jahren versorge ich mein Mutter (jetzt 83) mit Lesestoff. Zu Weihnachten oder zu Ihrem Geburtstag schenke ich ihr jeweils ein Buch mit einem Frauenthema. Historische Figuren, Frauen, die es allein geschafft oder ein ungewöhnliches Schickal haben. Paula oder Die sieben Farben der Einsamkeit von Stephan Abarbanell trifft wohl hier den Nagel auf den Kopf. Es geht um eine tapfere Frau, um die Geschichte nach dem 2. Weltkrieg, die ihren sehr eigenen Weg geht.
Vielschichtiges Porträt einer außergewöhnlichen Frau
Stephan Abarbanells Paula oder die sieben Farben der Einsamkeit ist mehr als nur ein historischer Roman – es ist eine einfühlsame Erkundung der inneren Zerrissenheit und Stärke einer Frau, die in den Schatten der Geschichte gestellt wurde. Paula Ben-Gurion, die Ehefrau des israelischen Staatsgründers David Ben-Gurion, steht im Zentrum dieser bewegenden Geschichte, die geschickt historische Fakten mit fiktionalen Elementen verwebt.
Abarbanells Schreibstil besticht durch eine klare, doch poetische Sprache, die den Leser auf subtile Weise in die Gefühlswelt der Protagonistin eintauchen lässt. Bereits in der Leseprobe offenbaren sich starke visuelle Bilder: Die Wüste Negev wird nicht nur zur Kulisse, sondern zum Symbol für die Einsamkeit und Isolation, die Paula empfindet. Dialoge sind fein nuanciert und lassen die Spannungen zwischen den Figuren greifbar werden. Dennoch gibt es Momente, in denen die Sprache etwas spröde wirkt – insbesondere in Beschreibungen, die die Handlung nur wenig vorantreiben.
Die Erzählung ist introspektiv aufgebaut, wobei die Ereignisse aus Paulas Perspektive geschildert werden. Rückblenden in ihre Jugend in Minsk sowie Episoden ihres Lebens mit Ben-Gurion ergänzen die Haupthandlung im Negev. Diese Struktur ermöglicht es, eine Verbindung zwischen Paulas Vergangenheit und ihrer aktuellen Situation herzustellen. Der Roman vermittelt so ein tiefes Verständnis für die psychologischen und emotionalen Belastungen, die das Leben im Schatten eines mächtigen Mannes mit sich bringt.
Paula ist eine außergewöhnlich vielschichtige Protagonistin. Ihre innere Zerrissenheit – zwischen den Erwartungen an sie als Frau eines Staatsgründers und ihrem eigenen Bedürfnis nach Unabhängigkeit – wird überzeugend dargestellt. Die Nebenfiguren, darunter Ben-Gurion selbst, bleiben dagegen oft schemenhaft. Der Roman berührt große Themen: Einsamkeit, Mut, die Last historischer Verantwortung und die Suche nach Identität. Besonders eindrucksvoll ist, wie Abarbanell Paulas Resilienz angesichts von Armut, Krieg und persönlichen Opfern darstellt.
Während die Protagonistin hervorragend entwickelt wird, hätten einige Nebenfiguren wie Paulas Kinder oder andere Bewohner des Kibbuz mehr Tiefe verdient. Ebenso wirken manche Abschnitte, besonders die politischen Diskurse, etwas didaktisch und könnten für weniger geschichtsinteressierte Leser schwer zugänglich sein.
Ein Buch, das nachhallt
Paula oder die sieben Farben der Einsamkeit ist ein Roman, der nicht nur Historiker und Literaturenthusiasten begeistern dürfte, sondern auch jene, die sich für persönliche Geschichten hinter großen historischen Ereignissen interessieren. Stephan Abarbanell gelingt es, Paula als vielschichtige und greifbare Figur zu zeichnen, deren Geschichte noch lange nach dem Lesen nachhallt.
Das Buch zeigt Abarbanells Talent für Detailtreue und atmosphärische Dichte. Die Eröffnungsszene mit den Hunden und dem nächtlichen Kibbuz vermittelt Paulas Einsamkeit meisterhaft. Der Kontrast zwischen der kargen Landschaft und ihrer reichen inneren Welt verleiht der Erzählung eine melancholische Tiefe. Auch der Humor, etwa Paulas Bemerkungen über ihre Brille, lockert die düstere Grundstimmung geschickt auf.
Stilistisch fällt auf, dass Abarbanell zwischen nüchternen Beobachtungen und fast lyrischen Passagen wechselt. Dieser Stil eignet sich hervorragend, um die Spannungen in Paulas Leben einzufangen – zwischen Pflicht und Sehnsucht, zwischen der rauen Realität der Wüste und ihren verblassenden Träumen.
Die Geschichte hat eine stark subjektive Erzählperspektive. Der Leser erlebt Paulas Gedanken und Gefühle direkt, was eine hohe emotionale Nähe erzeugt. Allerdings könnte dies für Leser, die eine schnellere Handlung bevorzugen, weniger zugänglich sein.
Paula oder Die sieben Farben der Einsamkeit
von Stephan Abarbanell
240 Seiten, Karl Blessing Verlag (2024)
ISBN 3896677578
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