Erziehen und Frühförderung im Konflikt mit den Großeltern

Oma und Opa - Großeltern sind wichtig

Ab und an gerate ich mit den Großeltern meiner Tochter in einen kleinen Konflikt zum Thema Frühförderung und Erziehung. Die Kleine ist jetzt vier Jahre alt und natürlich meinen es Oma und Opa nur gut. Oma hauptsächlich. Doch die Enkelin kann immer noch nicht Klavier spielen – überspitzt ausgedrückt. Man sollte dem Kind mehr bieten, es fördern so früh es geht, weil das Gehirn bis zum 4. Lebensjahr so viel aufnimmt und lernt. Und man solle das Mädchen mehr erziehen. Es schläft nachts noch mit dem Schnuller und braucht noch Windeln. Und dann stehts du da als Eltern, dann stehts du da mit deiner Weisheit. Aber hat man sich jemals gefragt, ob „Erziehung“ überhaupt notwendig ist?

Für die allermeisten Menschen in unserem Kulturkreis ist das gar keine Frage: Erziehung tut Not. Und für viele Eltern und Großeltern ist eine frühstmögliche Förderung ebenfalls entscheidend für den späteren Lebensweg. Doch da stehe ich, der Papa, und verteidige die Kindheit meiner Tochter: Sie darf Kind sein und spielen und alles andere ist nicht so wichtig, denn alles andere kommt von ganz allein oder kann man später noch machen. Aber Kindsein ist wichtig und einmalig. Die Kindheit ist schnell dahin.

Alle meinen es gut.

Ich bin fest davon überzeugt, dass die „Erziehungs-Kompetenz“ der Eltern aus Ihrer Liebe, Verantwortung und Fürsorge erwächst. Wenn man es nicht übertreibt. Und sie ist genetisch schon angelegt. Genau so überzeugt bin ich, dass das Kind grundsätzlich gut und kompetent ist und gar nicht so viel Manipulation braucht, wie insbesondere die ältere Generation es gern hätte. Während die Omas und Opas in Deutschland Werte wie Disziplin, Lernen, auch Strenge und Kunsterziehung (Balett, Klavierspielen etc.) propagieren, führen moderne Eltern gerne Frühförderung, Fremdsprache Chinesisch und Schreibenkönnen mit 5 ins Feld.

Dabei ist jeder nur ein Kind seiner Zeit. Und seiner Kultur. Die Wert, gerade was Erziehung und den Umgang mit dme Nachwuchs angeht, sind dynamisch. Jede Zeit, jede Gesellschaft, ja, jede Familie beschreibt sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten für sich neu. Es gab Zeiten, da war Kinderarbeit selbstverständlich. Und das ist auch in vielen Teilen der Erde heute noch so. In früheren Tagen war die „körperliche Züchtung“ der Kinder gut für deren Moral. Die „schwarze Pädagogik“, von der viele Menschen immer noch geprägt scheinen, auch wenn es nur noch Spuren sind, hat in letzter, brutaler Konsequent in zwei furchtbare Weltkriege geführt …

Konsequenz ist kein Selbstzweck. Klare Kante: Ja. Berechenbarkeit: Unbedingt. Unterstützung: Immer. Aber zu allererst ist die Integrität und Würde des Kindes zu respektieren und zu verteidigen. Und das bedeutet eben für mich: Ein Kind darf, muss und soll Kind sein. Mehr nicht. Darauf erwachsen jene Fähigkeiten, die es auf dem späteren Lebensweg zur Konfliktbewältigung und zur Verbesserung der eigenen Chancen einsetzen kann.

Lernen kannst du ein Leben lang – Ein Kind bist du nur einmal

Aus verschiedenen Gründen halten ältere Menschen an Erkenntnissen fest, die schon lange überholt sind und ihre Gültigkeit verloren haben. Ich bedaure das. Denn ich kann nicht nachvollziehen, warum die Neugier im Alter nachlassen sollte, warum man nicht jeder Zeit neuesten Erkenntnissen aufgeschlossen sein soll.

Und so höre ich immer wieder: Das Gehirn. Bis zum 4. Lebensjahr. Förderung. Disziplin. Dabei sind die Erkenntnisse der Hirnforschung was Lernen angeht ziemlich eindeutig – wenn auch noch nicht sehr alt. Das Gehirn hat eine enorme Plastizität. Ein kleines Kind lernt mal, weil die meisten Verknüpfungen der Neuronen innerhalb des Hirns erst noch gebildet werden müssen. Dennoch werden bis ins hohe Alter neue Verbindungen im Gehirn hergestellt. Abgesehen davon, lernt das Gehirn am Besten durch das, was Spaß macht. Durchs Spiel. Das ist wichtig. Deshalb verliert Disziplin und Drangsalierung (was ich mit Frühforderung bei „gesunden“ Kindern gleichsetze) ihre Berechtigung.

Werte: Freiheit, Unabhängigkeit und Wehrhaftigkeit

Ich möchte keine Untertänin erziehen. Und mache es auch nicht. Gehorsam und Pflichterfüllung sind passé und unbrauchbar für die Zukunft unserer Kinder. Stattdessen sind es Beziehungsfähigkeit (Zusammenarbeit), Kreativität (Lust an der Entfaltung) und Autonomie (Würde). Aus meiner Sicht.

Meine Sicht hat natürlich etwas mit meiner Kindheit zu tun. Freiheit ist für mich das höchste Gut. Freiheit und Würde. Nicht nur abstrakt, wie es in der Verfassung steht, sondern ganz konkret.

Außer der Erfahrung in meiner Ursprungsfamilie hat mich in Hinsicht „Erziehung“ und Kindheit eine Autoring sehr stark geprägt: Alice Miller („Am Anfang war Erziehung“). Außerdem Arno Gruen (Der Verrat am Selbst: Die Angst vor Autonomie bei Mann und Frau und Jiddu Krishamurti (Wahre Bildung). Heute schätze ich die Arbeit von Jesper Juul (Aggression: Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist) und des Neurobiologen Gerald Hüther (Was wir sind und was wir sein könnten: Ein neurobiologischer Mutmacher). Autoren, die die Großeltern sicher nicht kennen.

Auch deshalb verstehen wir uns auch nicht.

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