Buchbesprechung: Vater, Mutter, Staat – Vater, Mutter, Staat: Das Märchen vom Segen der Ganztagsbetreuung

Human Kapital

Wenn du nicht zur Schule gehts, kommt die Polizei. Schule, das ist in Deutschland Sache des Staates, der Behörden, der Beamten, der Autoritäten. Hierzulande kommt niemand auf die Idee, dass jemand anderes als Vater Staat für die Bildung und Ausbildung der Menschen verantwortlich sein könnte. Das hat Folgen. Welche Folgen, das zeigt Rainer Stadtler in seinem Buch oder besser gesagt, seiner Streischrift: „Vater Mutter Staat – Das Märchen vom Segen der Ganztagsbetreuung – wie Politik und Wirtschaft die Familie zerstören. Ein weitere Lesetipp zum Thema Bildung!

Auf dem Buchrücken lesen wir: „Die betreute Generation. Irgendwas läuft hier falsch. Wie sonst ist das wachsende Unbehagen von Eltern zu erklären, die ihre Kinder kaum noch sehen, weil sie im Büro sitzen, vorgeblich um sich selbst zu verwirklichen? Wie die Untersuchungen zu Stresshormonen bei Krippenkindern, die hier locker mit Topmanagern mithalten? Warum überlassen immer mehr Eltern die Verantwortung für ihre Kinder ganz selbstverständlich fremden Menschen? Eltern, die in ihrer Jugend noch »We don’t need no education« riefen. Eltern, die ihren Kindern Pippi Langstrumpf vorlesen. Rainer Stadler, Journalist und Vater, macht sich auf die Suche nach Gründen für den Sinneswandel und erkennt ein System: Aus kühl kalkulierten ökonomischen Gründen propagiert eine Koalition aus Politik und Wirtschaft seit Jahren den massiven Ausbau der Kinderbetreuung und hat das Leben der Familien und der Gesellschaft insgesamt tiefgreifend verändert. Wer sich gegen die verordnete Ganztagsbetreuung stellt, ist auch gegen Emanzipation und Förderung, jeder leise Zweifel wird damit im Keim erstickt. Rainer Stadler stößt eine längst überfällige Diskussion an. Sie betrifft uns alle.“

Um das gleich vorweg zu nehmen: Unsere Tochter geht gerne zum Kindergarten und wir haben sie sehr bewußt mit rund 14 Monaten in den Kindergarten gegeben. Zunächst nur 4 Stunden, später sechs. Das war gut für alle, sie hatte nie Probleme oder Angst. Als Einzelkind fanden wir es wichtig und sinnvoll, dass sie dort soziales Verhalten lernt, neue und vielfältige Erfahrungen macht, bereichernde Beziehungen eingeht und Freundschaften schließt.

Sie in die Kita zu geben, war unsere freie Entscheidung, wir standen nicht unter erheblichen Druck, da ich flexibel arbeiten kann und die Mama Lehrerin ist. Wir haben aber immer darauf geachtet, dass die kleine sich wohl fühlt und hätten sie sofort rausgenommen, die Stunden reduziert oder den Hort gewechselt, wenn wir zur Überzeugung gekommen wären, dass die kleine leidet im Kindergarten.

Mir persönlich tun die Kinder leid, die täglich 8 Stunden und länger im Kindergarten oder anderen Einrichtungen bleiben müssen. Nicht, dass es ihnen offensichtlich schlecht ginge, aber eine solche Ganztagsbetreuung hat sicher auch ihre Nebenwirkungen. Wenn ich unsere kleine nach 6 Kindergartenstunden abhole, sehe ich die Kindern, von denen ich weiß, dass sie bis 17.00 Uhr auf ihre Eltern warten müssen. Das finde ich traurig. Die Eltern können oft nichts dafür, denn sie müssen ihrer Arbeit nachgehen. Aber die Schönrederei dieser Lebensentwürfe in Wirtschaft und Politik, die sind das Problem und darum gehts im vorliegenden Buch.

Die Vergötterung der Arbeit und der Staat als Erzieher

Rainer Stadler behauptet in seinem Buch, es ginge beim Engagement um die Arbeitskraft der Eltern – um Human-Kapital – und nicht um die Kinder.

Stadler belegt seine Thesen umfangreich und hat sehr viele, belastbare Aruguemnte auf sein Seite. Vielleicht lässt sich die Aussgabe des Buches in diesem Satz auf Seite 110 komprimieren: „Der Politik geht es nur vordergründig um die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere. In erster Linie geht es darum, beiden Eltern zu ermöglichen, Vollzeit zu arbeiten.“

Stadler führt diesen Gedanken auf dieser Seite brillant aus und formuliert ihn zu Ende. Die Erkenntnis ist keine Überraschung, sondern steht jedem nachprüfbar zur Verfügung. Für mich erklärt sich so, mein andauerndes Unbehagen durch die Berliner Familienpolitik, wer auch immer ihr gerade vorsteht: „Denn das Ideal einer emanzipierten Frau besteht heute darin, dass sie ihrem eigenen Beruf nachgeht und vom Einkommen des Mannes unabhängig ist. Und das Ideal des Mannes besteht darin, dass er den ganzen Tag arbeitet und keinen Feierabend kennt. Vereinbarkeit aus Sicht von Politik und Wirtschaft ist also in erster Linie das Glück, mehr arbeiten zu können.“

Der schöne, ursprünglich sozialistische Traum durch staatliche Ganztagsbetreuung einen neuen Menschen zu schaffen, ist ebenfalls gescheitert, wie wir wissen.

Das Buch ist sehr gehaltvoll, die Argumente schlüssig und auf den Punkt. Es ist derart gehaltvoll, dass ich es nicht fertigbringe, den Argumentationen über einen längeren Zeitraum lesend zu folgen. Immer wieder muss ich innehalten, nachdenken, prüfen … und „verdauen“.

Fazit:
Ich könnte noch viel mehr sagen und anfrühren, zitieren und kommentieren, aber dann könnte ich gleich selbst ein ähnliches Buch schreiben. Man muss es also – unbedingt – selber lesen. Mir spricht es streckenweise regelrecht aus der Seele und ich weiß dann: Ich bin nicht allein. Und ich bin nicht verrückt. Denn das hier etwas nicht simmt, mit der ständigen Grenzüberschreitung und Einmischung eines (allmächtigen?) Staates, kann jeder, der sie noch alle beisammen hat intuitiv erfassen. Die Argumente, Thesen, Behauptungen und Meinungen, die Rainer Stadler in seinem Buch leicht und sehr leserfreundlich, nachvollziehbar und beredt, vorbringt, bereichern die Diskussion um die Zukunft der Bildung, der Kitas, der Schulen und unserer Kinder.

Ich bin mir sicher, dass Menschen wie Stadler irgendwann das Gehör finden, dass sie verdienen und die allsorgende, überfürsorgliche Mutter in Form des Vater Staats zurückgedrängt wird zu ihren eigentlichen Aufgaben: Den Dienst am Menschen. Dienst an der Wirtschaft hat mit Bildung und der Zukunft unserer Kinder erst einmal herzlich wenig zu tun. Leute: Lest dieses Buch und lasst uns reden!

vatermutterstaatVater, Mutter, Staat: Das Märchen vom Segen der Ganztagsbetreuung – Wie Politik und Wirtschaft die Familie zerstören
von Rainer Stadler
Ludwig Buchverlag, 2014
Gebundene Ausgabe
272 Seiten, 19,99 Euro
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2 Kommentare

  1. Hallo Mark,
    habe Rainer Stadler bei einem Vortrag in Ingolstadt 2017 kennengelernt. Er wich sämtliche Fragen, wie es bei ihm daheim mit der Betreuung aussieht, aus. Daher unglaubwürdig. Seine Studien aufgewärmt. War sehr enttäuscht. Bin alleinerziehend und beteilige mich an vielen Diskussionen. Vielleicht sollte dieser Autor sich mal mit Gregor Gysi zum Thema auseinandersetzen… Viele Grüße, Henriette

    1. Als Gregor Gysi hat mit diesem Theme schon mal herzlich wenig zu tun. Jedenfalls habe ich ihn dazu noch nicht vernommen. Nach meiner Erfahrung antworten Autoren oder Redner auf bestimmte Fragen nicht eindeutig, wenn diese nicht wirklich mit dem Thema zu tun haben.

      Und nur weil man einen Misstand öffentlich beschreibt und eine bestimmte Haltung einnimmt, muss man sein Privatleben nicht gleich öffentlich machen. Das ist ja das Thema des Buches. Und wenn man die Einleitung gelesen hätte … Aber egal. Es ist hier nicht der Ort das zu diskutieren und ich kenne deine Situation, deine Haltung und deine Fragen nicht.

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