U9 verweigert – ist die Tochter nun verhaltensgestört?

Kinderärzte

Kürzlich bei der U9-Untersuchung beim Kinderarzt. Wiegen ging, Blutdruck und Größe messen. Beim Hörtest wars dann vorbei. Sie sollte sagen, was sie gehört hatte, aber sprach nicht. Das war noch bei der charmanten Sprechstundenhilfe. Später beim eigentlichen Arzt kam aber auch nichts mehr raus aus dem Kind. U9: Verweigert. Der Doktor mahnte, bis Ende des Jahres müsse es besser werden, denn dann ginge es auch schon los mit der Schul-Geschichte und da müsse man beweisen, was man könne, sonst … Ja, was sonst? Sonderschule?

Weshalb sie die Sprache verweigert ist mir ein Rätsel. Ich will es lösen. Mir ist in den letzten Monaten aufgefallen, dass sie Erwachsenen gegenüber Antworten schuldig bleibt. Sie spricht dann nicht, verweigert die Aussage. Selbst bei einfachen Fragen und bei solchen, die ihre unmittelbaren Interessen betreffen. Nichts. Schweigen. Dabei ist es egal, ob es völlig fremde Erwachsene sind, oder solche, die sie kennt, aber lange nicht sieht, wie etwa den Kinderarzt, oder vertraute Personen wie die Oma, die Nachbarin oder die Reitlehrerin. Und ich verstehe es nicht.

Manchmal werde ich sauer, weil ich mir einfach nicht erklären kann, was bei dieser Verweigerungshaltung in ihrem kleinen Köpfchen vor sich geht. Das ist natürlich nicht gut. Aber es ist auch nicht gut, wenn sie schweigt und keine Antwort geben will. „Willst du eine Kugel Vanille oder Gummibärchen? Im Becher?“ Nichts. „Willst du auf Jimmy reiten oder auf Hanuta=“. Pustekuchen. Es geht einfach nicht, ob beim Arzt oder irgendwo sonst. Es sind ja keine weltbewegenden Fragen und es handelt sich um ganz einfach Aufgaben, die sie mit Sprache ja lösen kann. Sie kann gut sprechen, das ist nicht das Thema. Aber das macht es für mich so rätselhaft.

Manchmal heult sie, schreit und kreischt. Ich sage: „Was ist denn, was hast du? Was ist los? Sage es doch.“ Aber auch dann geht sehr oft gar nichts. Ich kann es nur schwer nachvollziehen und muss mich in Geldulg üben und in Verständnis. Es geht weder etwas zu erzwingen, noch bringen irgendwelche Maßnahmen schnelle Besserung. So, wie wir es als Erwachsene gewohnt sind. Nein, sie steht da, verweigert, sagt nichts und bleibt ganz sie selbst. Es scheint eine Phase zu sein, denn sie geht schon ein paar Monate.

Jepser Juul: „Erziehen Sie Kinder nicht zu Gehorsam, sondern zu Mitverwantwortung“!

Nächste Woche haben wir eine Gespräch mit der Erziehungsberatung. Natürlich kommen Zweifel an uns selber auch. Aber wir verstehen auch nicht genau, was los ist. Vor ein paar Tagen bat ich ihre Kindergärtnerin um eine kurze Einschätzung der Lage. Denn zu dem Trotz und der Verweigerung, kommt gleichzeitig eine starke Mutterfixierung, sie weicht in vielen Situationen der Mama oder auch mir kaum von der Seite. Selbst morgens, wenn ich sie in ihren geliebten Kindergarten bringe, darf ich nicht einfach gehen, so wie sonst in all den Jahren. Das ist seltsam. Sie wacht auf, wenn Mama aufsteht und will nicht, weil sie das sofort spürt. Sie ist da sehr sensibel. Habe ich etwas falsch gemacht? Was ist das? Eine Phase? Kennt man das?

Die Kindergärtnerin versicherte mir, dass sie im Kindergarten „ganz normal“ ist und ihr nichts weiter aufgefallen sei. Sie wäre sehr selbstbestimmt, auch im Vergleich zu anderen Kindern, aber sie kümmert sich auch rührend um kleinere Kinder in der Kita. Vielleicht, so unsere Lieblingskindergärtnerin mit ihrer langjährigen Erfahrung, vielleicht ginge es ihr darum, selber zu bestimmen, wann sie was macht oder sagt. Also, dass sie sich nicht überrollen lassen will, sondern auf ihren eigenen Rhythmus besteht und ihre … Autonomie. Das kann gut sein, hat sie doch zwei sehr eigene Eltern, die beide viel wert auf Autonomie und Unabhängigkeit leben. Vor allem der Papa. Also ist es genetisch? Muss ich mir keine Sorgen machen? Dass ich vielleicht zu oft mit ihr geschimpft habe?

Sie ist sehr sensibel. Das war von Anfang an klar. Und sie ist zugewandt, der Außenwelt zugewandt, im Gegensatz zu vielen anderen Kindern. Sie konnte von Anfang an gut alleine spielen. Und deutlich machen, was sie will. Und wenn ich es mir recht überlegt, ist diese U9-Untersuchung bei Kinderarzt so eine Art Maschine. Man geht rein, bekommt ein Zimmer zu gewiesen, zieht sich aus, wartet im Kühlen, dann kommt jemand, die Sprechstundenhilfe oder Arzt, stellt seltsame, unwichtige und auch unpassende Fragen und das Kind hat gefälligst zu funktionieren. Ja, hat es das? Nein, hat es nicht. Schwer, sehr schwer für uns Erwachsene. Aber wir leben nicht mehr im 19. Jahrhundert, als den Kindern ihre Eigenheiten noch rausgeprügelt wurden.

Ich mache mir immer noch Sorgen um meine kleine süße Maus und das ist wohl ganz normal. Aber wahrscheinlich ist alles gut und alles nur eine Phase, eine Wachstumsphase. Ich bin wieder viel geduldiger mit ihr, gehe auf sie ein, versuche sie zu nichts zu drängen und sie lieb zu haben. Was anderes könnte ich tun?

© Bestimmte Rechte vorbehalten von Jaime Golombek

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4 Kommentare

  1. Manchmal ist es spannend, da denkt man jeder ist individuell und dann ist es bei Ihnen exakt, wirklich exakt genau so wie bei meiner Tochter!! Von der U Untersuchung mit den blöden Kommentaren der Ärztin über das Weinen und die Mutterfixierung bis zu der positiven Einschätzung aus dem Kindergarten. Auch ich versuche einfach entspannt zu bleiben (oder so zu tun…) und sie nicht zu überfordern. Gleichzeitig will ich sie aber fördern – manchmal eine schwierige Gratwanderung. Aber ich gebe Ihnen recht, lieb haben und nicht drängeln ist die einzige und wichtigste Möglichkeit! Danke für den schönen Text.

  2. Hallo,
    Ich habe diesen Beitrag gefunden, da es bei meiner Tochter genau das selbe ist.
    Wie ist es euch ergangen? War es eine Phase?
    Bin gerade ziemlich verzweifelt und weiß nicht so recht was ich tun kann.

    1. Ja, das ist nicht so schlimm. Die Ärzte sind schlimm, aber doch nicht die Kinder. Tausche dich mit anderen Eltern aus und mit Freunden, die etwas Erfahrung mit Kindern haben. Immer wichtig: Ruhig Blut, ist ALLERMEISTES alles ganz normal, natürlich und in Ordnung. Nur für manche Ärzte eben nicht, da müssen nämlich unsere Kinder funktionieren, wie sie es gerne hätten. Nö.

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